Über ein Dreivierteljahr ist es jetzt her, dass ich mit Jan zusammen war. Nach unserer plötzlichen Trennung im Januar habe ich nie wieder was von ihm gehört oder gelesen. Wir waren auch nur kurz zusammen und mehr als geknutscht und gefummelt haben wir auch nicht wirklich. Inzwischen bin ich darüber hinweg.
Lars ist im Oktober 25 geworden. Argh, sieben Jahre. Er ist solo. Er ist Fußgänger. Er hat im Sommer regelmäßig in und um denselben See trainiert wie wir. Ja, Freiwasserschwimmen. Radfahren. Hat schon an einigen Triathlons mitgemacht, auch wenn die meisten Fußgänger ja erst wesentlich später (30 aufwärts) damit anfangen. Ich habe mich einige Male mit ihm unterhalten. Er war regelmäßig bei uns und hat sehr interessiert zugeschaut, wenn wir trainiert haben. Blieb oft noch lange Zeit nach seinem Training. Hat mit uns am See gegrillt. Viel erzählt, viel geredet. Über sich. Seine Einstellungen. Über uns. Über seine Faszination vom Sport. Hat sich für mich interessiert. Hat mir (nur mir!) irgendwann seine Nummer gegeben, falls wir mal Interesse hätten, in kleinerer Gruppe Fußgänger und Rollifahrer zusammen zu trainieren (Biken oder Schwimmen), soll ich ihn mal anrufen. Oder einfach nur so, wenn ich mal Langeweile hätte…
Ich kann immernoch nicht einschätzen, ob ich für ihn nur „interessant“ bin, weil er Sportler im Rolli so faszinierend findet, ob er auf junges Gemüse steht, ob ich mir alles nur einbilde, ob er vielleicht irgendwas anfangen und schauen, wie es sich entwickeln würde – oder ob er vielleicht zu jenen Leuten gehört, die auf gelähmte Mädels stehen und so einen Behindi-Fetisch haben.
Ich habe ihn endlich angerufen. Jetzt, wo es arschkalt und bald Winter ist, könnten wir ja gar nicht mehr draußen trainieren. Ich würde unser gemeinsames Training und vor allem die Abende am Lagerfeuer oder beim gemeinsamen Grillen vermissen. Ja, er freue sich doch sehr, dass ich ihn anrufe, er habe lange gehofft und nun aber inzwischen schon fast die Hoffnung aufgegeben. Ich fragte ihn, ob wir nicht mal zusammen trainieren wollen, zum Beispiel in einer Schwimmhalle. Er sagte: „Na klar, sofort!“ Ähm … ja.
Schisssocke mal wieder. Falscher Weg. Was wollen wir zusammen in einer überfüllten Schwimmhalle, in der zehn Vereine sich acht Bahnen teilen? Zweiter Anlauf. Eindeutiger. „Oder wollen wir vielleicht auch mal so schwimmen gehen in einer kleineren Gruppe?“ – „Ja, da bin ich gerne dabei.“ – „Also wir wollten jetzt am Wochenende in eine Therme, da ist ein Sportbecken und so ganz viel Relax-Kram und auch ein Saunabereich. Also so richtig zum Entspannen. Bisher eine Freundin und ich, aber wir wollten noch mehr Leute fragen und … ich würde mich freuen, wenn du da auch mitkommst.“
Herzklopfen. Spannung. Siedet. Erreicht den Höhepunkt. „Ja. Gerne. Wann treffen wir uns wo?“
Morgen. Jana kommt mit. Ganz alleine traue ich mich nicht. Fremder Mann und so… Sie fährt mit ihrem Auto. Wir treffen uns bereits alle in Hamburg auf einem Supermarktparkplatz an der Autobahn, paar Minuten von hier, die Therme liegt außerhalb. Zuletzt gesehen habe ich Lars vor drei Wochen bei unserem letzten Outdoor-Schwimmtraining. Habe ein Foto von ihm auf meinem Desktop, seine Telefonnummer immer in meinem Portemonnaie, hatte seine Nummer schon paar Mal ins Handy getippt, dann aber in letzter Sekunde doch eher auf die rote als auf die grüne Taste gedrückt, weil ich mich nicht getraut habe. Argh!
Wenn ich mir nicht alles falsch eingebildet habe, macht mir dieser Typ schon seit Ewigkeiten schöne Augen. Er ist etwa 1,80 groß, hat eine sportliche Figur, braune kurze Haare, braun-grau-grüne Augen … ich will ihn. Und ich werde ihn morgen so derbe anbaggern, dass er inzwischen vergeben oder dumm sein muss, wenn er nicht mitkriegt, was ich von ihm will. Jana ist bereits eingeweiht.
Dumm ist, dass ich selbst gar nicht weiß, was ich will. Eigentlich will ich alles. Wenn er gut oder sogar der richtige ist, will ich ihn unbedingt enger kennenlernen und ich kann mir auch vorstellen, wieder eine Beziehung anfangen. Wenn er „privat“ ganz doof ist, war es einen Versuch wert. Wenn er nichts ernstes von mir will aber … ich habe mir heute Kondome gekauft. Ich glaube nicht, dass ich sie brauchen werde, zu 98% nicht. Aber die 2% sollen nicht an fehlenden Gummis scheitern.
Allerdings bin ich mir sehr sicher, dass ich, sollte ich morgen diese Packung öffnen, eher doch keine Beziehung mit ihm anfangen will. Ach, ich weiß eigentlich gar nichts. Ich möchte nur, dass es ein schöner Nachmittag wird. Ohne irgendwelche komischen Störungen. Okay? Beine, Spastik, Haut, Blase, Darm, … okay!?! Benehmt euch.
17 Gedanken zu „Ein neuer Versuch“
Das klingt ja spannend. 🙂 Ich drücke Dir alle zu Verfügung stehenden Daumen – und die Zehen auch. 🙂
Du Schisssocke!
Mensch.. warum siehst du denn nicht mal in einem Mann, dass er einfach nur an dir Interesse haben könnte… nicht an Behinderte! Trau dich… und wenn es der Richtige sein sollte, dann entwickelt sich bestimmt noch etwas. Ein erster Schritt ist jedoch dafür nötig.
Viel Spaß morgen, Schisssocke 😀
Na dann mal viel Glück! Erzähl auf jeden Fall, wie es war!
Ach, Stinki, was spricht denn dagegen, ein Gummi zu brauchen (oder auch die ganze Packung 😉 ) und trotzdem längerfristig zusammen zu sein? Wenn beide wollen, muss man das, was eh irgendwann passiert, ja nicht Wochen oder Monate künstlich hinauszögern. Man muss sich da nur einig sein… Andersherum ist die Enthaltsamkeit am ersten Abend auch nicht unbedingt Gewähr dafür, dass "es passt".
Ansonsten mach Dir einfach nicht zu viele Gedanken. Vor allem: Sei Du selbst! Die sieben Jahre sind kein Problem (so viele Jahre waren meine Großeltern auch altersmäßig auseinander, und sie sind nur knapp an der Goldenen Hochzeit vorbeigeschrammt). Hör auf Dein Bauchgefühl, es wird Dir schon den richtigen Weg weisen. Hat's ja, genau genommen, bei Jan auch getan…
Ich wünsche Dir dabei auf jeden Fall viel Glück und Erfolg! Hast es verdient!
Hi Jule,
mach dir doch nicht so viele Gedanken!
Du hast eben einen netten Mann kennengelernt, der offensichtlich durchaus an dir interessiert ist. Das ist doch schon mal ein guter Anfang.
Dass du nicht genau weisst, was du willst, ist doch ganz normal. Um das zu wissen, musst du ihn erst noch besser kennenlernen. Ihm wird es vermutlich auch nicht anders gehen.
7 Jahre Altersunterschied? – Na und… das ist doch nicht so wahnsinnig viel. Meine Eltern sind auch 6 Jahre auseinander.
Wenn er auf dich steht, hat das nun wirklich nicht unbedingt etwas damit zu tun, dass er nur auf "junges Gemüse" steht.
Und warum sollte er unbedingt ein Rollstuhl-Fetischist sein?
Könnte es nicht einfach sein, dass Lars dich einfach als Person toll findet und sich auch von deiner Behinderung nicht abschrecken lässt?
Sonst möchtest du (völlig zurecht) doch auch, dass man dich erst mal als ganz normalen Menschen und nicht als Behinderte ansieht…
Also: Lass die Sache einfach auf dich zukommen!
Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Spaß und viel Erfolg!
Gruß
Banane
Ich mag deinen Blog, wirklich.
Ich bewundere deine Lebenseinstellung und deine Art, anderen zu helfen und mit Schwierigkeiten umzugehn.
Aber manchmal, wenn ich hier lese – so wie heute – komm ich mir vor, als wär ich einfach ins Zimmer meines Mitbewohner gegangen und hätt ihn zufällig ohne Klamotten gesehn. Als ob ich einfach mehr Privatsphäre von jemandem mitkriegen würde, als ich wollte oder es gut ist. Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, warum du das machst.
Ein frei zugänglicher Blog, du bist problemlos zu erkennen und du packst wirklich die intimsten Details aus.
Ich meine damit NICHT die Erwähnung des Pinkel-Problems von Querschnittsgelähmten. Ich finde es eigentlich gut, dass du auf solche Themen aufmerksam machst. Was ich dagegen nicht ganz verstehe, ist wie OFT du so detailliert darüber schreibst. Aber nun ja.
Dass du aber schon VOR dem Date schreibst, was du planst, finde ich irgendwie noch krasser. Ich hoffe, der junge Mann liest dein Blog nicht.. Ich kann einfach nicht verstehen, wie man an einem Ort, wo vom Schulleiter bis zum Nachbarn alle mitlesen können, so viel von sich preisgibt.
Dabei gibt es doch z.B. die Möglichkeit, einzelne Einträge zu schützen etc. Ich hoffe auch, dass du zumindest die Namen änderst…
Äh ok.
Ich hab erst hinterher den "Ferkelpost" weiter unten gelesen.
Naja. Dann lösch ich den Blog jetzt mal aus meinen Favoriten raus und wünsche dir für die Zukunft noch alles Gute.
Nur ein kleiner Tipp zum Abschluss. Ich würde an deiner Stelle versuchen, den Blog so zu gestalten, dass du nicht erkennbar bist. [vs. Fotos, Namen etc.] Ich möchte nämlich nicht wissen, was passiert, wenn deine Klasse oder bald deine Studienkollegen den Blog entdecken. Falls dir das egal ist, ist ja ok!!! Aber wenn nicht, bitte vergiss nicht, das hier ist nicht SO schwierig zu finden.
Ich finde es ja okay, wenn jemand seine Meinung sagt und etwas kritisiert. Auch, dass dabei zwei Meinungen auseinander gehen, vielleicht sogar völlig gegensätzlich sind. Aber dennoch schießt deine Reaktion ein wenig über das Ziel hinaus, Ella. So sieht es für mich aus.
Manche Information ist für mich auch eine zuviel. Zum Beispiel neulich, als eine junge Frau hinter mir auf dem Bahnsteig in ihr Handy rief: "Mami, ich hab endlich meine Tage bekommen!!!" Will ich das wirklich wissen? Nein, eindeutig TMI (too much information).
Ich hätte mich über das fehlende Einfühlungsvermögen dieser jungen Frau aufregen können. Wie einige der umstehenden Menschen. Aber irgendwie musste ich doch schmunzeln. Ich habe so gedacht: "Wer weiß, wie lange sie jetzt schon darauf gewartet hat? Vielleicht ist sie krank? Vielleicht hofft sie, nicht schwanger zu sein?" Für sie muss dieses Ereignis eine derart erlösende Kraft gehabt haben, dass ihr die Welt um sie herum völlig egal war.
Ich weiß nun, dass dieses Mädel ihre Tage hat. Genauso wie Tausende Hamburger Frauen heute auch ihre Tage bekommen haben. Möchte noch jemand wissen, wann ich wieder dran bin mit meiner roten Woche?
Jule ist eins der ehrlichsten und aufrichtigsten Mädels, die ich kenne. Das heißt nicht, dass sie nichts verheimlicht und nie lügt. Aber das heißt, dass sie hinterher zu dir kommt, und dir erzählt: "Ich hab dich gestern angelogen. Ich hatte keine Hausaufgaben mehr zu erledigen, sondern ich hatte keinen Bock mehr auf dich. Ich wollte aber keinen Streit, weil ich nicht wusste, ob ich einfach komisch drauf bin oder du mich ärgerst. Heute, mit etwas Abstand, weiß ich, dass ich komisch drauf war. Ich bitte um Entschuldigung."
Sie verarscht auch nicht stundenlang die Leute, sondern sagt frei raus: "Ich hab Scheiße gebaut." Und dann kommen die Fakten. Und dann weiß jeder, woran er ist. Ich kann mit dieser Offenheit 1000 Mal besser umgehen als mit Verschwiegenheit und Heimlichtuerei. Wobei sie mir manchmal auch ein wenig zu offen und zu unbefangen ist – das kann aber auch sehr positiv sein. Insbesondere die Distanz, mit der man behinderten Menschen in unserem deutschen Alltag häufig begegnet, wird genährt von Gerüchten und Geschichten über eine Andersartigkeit, die Jule mit ihren Beiträgen ein ums andere Mal widerlegt. Über kurz oder lang muss einfach jeder merken, dass sie nicht "die Behinderte" ist, sondern eine Frau mit einer körperlichen Beeinträchtigung.
Ich wette, dass sie genau das, was sie hier schreibt, dem Typen auch erzählen wird. Dass er im wirklichen Leben nicht Lars heißt, versteht sich von selbst. Ich heiße im wirklichen Leben auch nicht Sofie. Beinahe wäre es aber so gewesen, denn "Sofie" stand auf der Namensliste meiner Eltern an Rang 2. Ich würde lieber "Sofie" heißen, was aber auch nur daran liegen könnte, dass ich meinen richtigen Namen schon zu oft gehört habe.
Vielleicht ist es bei Jule ja auch genauso?! Vielleicht heißt sie ja in Wirklichkeit auch ganz anders? Wer weiß das schon? 🙂
Oh mein Gott, eine 18-jährige hat masturbiert und das in ihrem Online-Tagebuch geschrieben! Die Welt geht unter.
Jule, du musst damit rechnen, dass immer mehr ländliche Gebiete Bayerns und Österreichs nach und nach mit Internet erschlossen werden. Also halt dich bitte etwas zurück! Blümchensex am Sonntagmorgen ist okay, aber pssst! Nicht drüber reden.
Ich hab einfach ganz ungefiltert meine ersten Eindrücke geschrieben. Vielleicht bin ich die einzige, die das so empfindet!! Dann ist ja alles ok.
Mir ist Jule durch das Lesen hier sehr sympathisch geworden, und in etwas das, was ich oben geschrieben hätte, hätte ich auch einer guten Freundin zum selben Thema gesagt. Und ich bin übrigens keine 65jährige Katzenoma.. 🙂
MIR muss der Blog ja auch nicht gefallen, aber weil er mir bisher so gut gefallen hat, wollte ich meine Ansicht zu den o.g. Themen da lassen.
Ähm ja. Mir ist inzwischen auch etwas peinlich, wie extrem ich es formuliert habe, aber das waren einfach meine ersten Gedanken. Auch wenn meine Meinung dieselbe bleibt, das nächste mal werde ich den Kommentar vorm posten nochmal durchlesen 😉
Danke, Sofie, wusste noch gar nicht, dass du so viel von mir hältst.
Danke, Ella, für die Warnung. Zum Ferkelbeitrag werde ich erst in 14 Tagen was sagen, so, wie es dort steht. Bis dahin dürfen alle weiter Fragen stellen. 🙂
Ja, vorher zu sagen, dass ich ihn angraben will, war doof von mir. Sehe ich ein. Kann ich verstehen. Hört sich aber vielleicht auch ein wenig schlimmer an als es ist, oder? Weil … ist das nicht eigentlich normal, wenn man mit einem Typen ins Schwimmbad geht und eigentlich was von ihm will? Ich weiß, man kann das auch romantischer angehen. Aber auch die Romantikerin hat Kondome im Rucksack, oder? Na?
Wer weiß, ob ich mich am Ende überhaupt noch getraut hätte, ihm irgendwas zu sagen oder zu zeigen, selbst wenn es anfangs anders verlaufen wäre. Aber es stimmt, ich würde nicht vorher lesen wollen, was jemand mit mir vorhat. Und ich würde auch nicht als letzte erfahren wollen, was alle anderen um mich herum schon wissen. Andererseits ist das gar nicht mein Ziel, sondern es ist so etwas wie ein Online-Tagebuch. Schwierige Gratwanderung. Vielleicht bin ich da auch einfach noch zu jung und unerfahren? Oder zu ungezogen?! Ich weiß es nicht. Echt nicht. Aber ich denke drüber nach. Danke für die Rückmeldung.
Danke auch an alle Daumen- und Zehendrücker, an alle Mutmacher und überhaupt.
Ich find's nicht schlimm, anders als Ella. Würd' ich sowas schlimm finden, würde ich hier einfach nicht mehr lesen, ganz einfach. Dafür ist das Web viel zu groß.
Ich hoffe, ich trete Dir nicht zu nahe, wenn ich Dich dennoch frage, ob der Umstand, dass Du auch solche Einträge formulierst, auf ein gewisses Bedürfnis nach Bestätigung zurückzuführen ist, die Du von denen, deren naturgegebener Job es gewesen wäre, Dich in der schwierigsten Phase Deines Lebens, auf Deinem Weg in die Selbständigkeit zu bestärken, eben nicht bekommen hast? Ich fände das als Hintergrund vollauf verständlich.
@BigDigger: Es fängt damit an, dass ich im Schuhladen von der Verkäuferin gefragt werde, warum meine Schuhe bequem sein sollen, immerhin merke ich doch meine Füße nicht; und es hört damit auf, dass mir der Schwimmmeister in einem öffentlichen Schwimmbad verbieten will, ohne Halskrause ins tiefe Wasser zu gehen, immerhin sei ich behindert. Ein Leser fragt mich, ob meine Beine schwarz sind, weil sie ja abgestorben sind, ein anderer möchte wissen, ob es nicht einfacher wäre, den gelähmten Bereich meines Körpers wegzuoperieren, wenn er sowieso keine Funktion mehr hat. Einige Spinner glauben immernoch, Behinderte gehören ins Heim, andere befürchten, sich anstecken zu können, und wieder andere glauben ernsthaft, es könnte etwas zerbrechen, wenn sie mir die Hand geben. Die Verkäuferin in der Bäckerei neben unserer Schule fragt meine Mitschülerin: "Was möchte sie denn?" Ich möchte nicht wissen, was sie denkt, warum "sie" auf einem Gymnasium ist. Inklusion um jeden Preis?
Kürzlich war eine Physiotherapie-Schülerin bei meiner Krankengymnastik zu Besuch. Zunächst sollten meine Beine passiv durchbewegt werden. Ronja fragte, ob die Schülerin zuschauen darf, ich antwortete, sie dürfe gleich Hand anlegen, wenn sie wollte. Da fängt die zu kreischen an und meint, ihr reiche schon die Anwesenheit im selben Raum, sie müsse erstmal innere Ängste abbauen.
Soll ich weiter schreiben? Es wird ein Abend füllendes Programm. Was ich damit ausdrücken will, weißt du vermutlich schon: Es gibt irre großen Aufklärungsbedarf. Für diese Aufklärung bedanken sich sehr viele Leute, heute habe ich alleine drei solche Mails bekommen.
In erster Linie schreibe ich für mich. In zweiter Linie, um andere an etwas teilhaben zu lassen, was nicht alltäglich ist. In dritter Linie, weil ich gerne die Meinungen anderer kennen lernen möchte. Meinetwegen nenne es "Bestätigung". In vielen Dingen bin ich mir unsicher, vieles behalte ich aber einfach nur nicht für mich.
Als Rollifahrerin bist du ständig im Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Leute gaffen, Leute starren dich an, Leute sprechen dich an, wollen dir helfen, erklären ihren Kindern, dass die Frau kaputte Füße habe oder arm dran sei, wildfremde Leute erzählen dir ungefragt die Geschichte vom letzten Gipsbein, fragen dich nach deiner Motivation, weiterzuleben, wollen dich umarmen, schenken dir plötzlich Geld, filmen oder fotografieren dich, wie einen Affen im Zoo, stecken dir Visitenkarten von Wunderheilern oder dubiosen Sekten zu – und mittendrin ist der Aufzug defekt und du musst auf die Schnelle allen Mut zusammennehmen und vier wildfremde Leute anquatschen, ob sie dich mal eben 20 Stufen runtertragen mögen, bevor alle, die mit derselben S-Bahn angekommen sind, sich aus der Affäre gezogen haben. Man ist einfach nicht normal.
Manchmal weiß ich selbst nicht, was normal ist und was nicht. Fühle mich von Reizen überschwemmt, sehne mich nach einer ruhigen Ecke, in der ich in der Nase popeln kann, ohne dass die Leute erst recht starren und denken, das gehöre zum Programm. Wenn ich wissen will, ob es normal ist, dass sich eine junge Frau mit einer Gurke penetriert, schlage ich das nach und finde etliche seriöse Quellen. Wenn ich wissen will, ob es normal ist, dass sich eine Rollstuhlfahrerin mit einer Gurke penetriert, kommt allenfalls Schweinkram. Jetzt sagst du: "Rolli oder nicht, da ist doch wohl kein Unterschied!"
Dann sag ich: "Sicher? Wenn da kein Unterschied ist, warum fühle ich mich dann so anders als die anderen? Und könnte es nicht doch sein, dass ich mir ernste Verletzungen zufüge?"
Ich möchte mich und andere sensibilisieren für einander. Ich möchte Feedback, vielleicht auch mal einen Ratschlag, vielleicht auch mal eine Bestätigung. Aber zuallererst möchte ich irgendwann mal zurückblättern und mich erinnern.
Und andere teilhaben lassen. Genauso wie ich meinen Freunden auch grundsätzlich alles erzähle. Bisher hat mir diese Offenheit sehr viel gebracht.
Konnte ich mit meinem Brainstorming deine Frage beantworten?
Mehr als erschöpfend. 😉
(Für die Aufkärung bedanke ich mich übrigens auch herzlich!)
(Wobei es mir ja eigentlich einzig um die von Ella eingangs kritisch beäugte "Vorschau" auf dieses Date ging und nicht um die Existenzberechtigung Deines Blogs selbst – den Sinn des gesamten "Projekts" würde ich eh nie in Frage stellen.)
Also nochmal konkret: "Warum gab es die Vorschau?"
Vielleicht wollte ich einfach nur erzählen: "Leute, haltet euch fest, ich habe ein Date."
Vielleicht hat mir das so viel bedeutet, dass ich es nicht für mich behalten konnte. Vielleicht gehörte diese Vorfreude und Unbeholfenheit an den Tagen davor auch einfach nur zum "täglichen" Befinden.
Vielleicht habe ich mir auch gar nicht viel dazu gedacht. Wenn man zu viel denkt, wird der Stil irgendwann "zu wissenschaftlich". Du weißt schon, was ich meine.
Und vielleicht wollte ich auch wirklich eine Bestätigung oder ein "mach das bloß nicht" in meinen Kommentaren lesen. Könnte schon sein. War aber nicht meine erste Motivation.
Ich weiß es nicht.
Das beste an diesem Blog ist, dass man immer etwas neues lernen und entdecken kann. Dass selbst in den Kommentaren ein Sub-Blog drin stehen kann, von dem man noch mehr lernen kann, als vom Blog selber. Vielleicht weil Jule über die Kommentare nicht noch 10 Mal drüber ließt, bevor sie sie veröffentlicht und stattdessen mal einfach einen Kommentar ablässt, was ihr gerade so im Kopf rumschwirrt. In diesem Tempo werde ich noch ein paar Wochen brauchen, bis ich wirklich alles gelesen habe, aber das ist auch ok. Das wirklich faszinierende ist, die Jule von heute mit dem, was man aus der Vergangheit lernt besser kennenlernen zu können, in diesem Fall, wie sie zu Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit steht, was sie von Kommentaren in ihrem Blog haelt, und überhaupt über ihren Blog reflektiert.
Ach ja, und wie wirklich idiotisch ihre Umwelt mit ihrer Behinderung umgeht. Gott, ich hoffe, ich habe mich in der Vergangenheit nicht genauso idiotisch angestellt.
Anyways, was ist jetzt eigentlich die Sache mit Pseudonymen in diesem Blog? Was Sofie hier sagt, hat mich ja jetzt schon etwas verunsichert. Soll neben Jule und ihren Leuten sich jetzt auch noch jeder Kommentator ein Pseudonym einfallen lassen? Dass ich jetzt nicht Michael, sondern Hans oder Mickey Maus bin? Ich fand's blöd hier anonym zu kommentieren. Entweder ich sag was und steh dazu, oder ich lass sein. Drum dachte ich, dass ich mal ein Blogger-Profil anlege. Vielleicht muss ich mir das doch nochmal ueberlegen …
Jule, guter Beitrag, gute Kommentare, was Sofie schreibt klingt auch sehr gut und ich kann, da wo ich es beurteilen kann, nur zustimmen.
Zum jungen Gemüse: schon wie ich Dich nur durchs Blog erlebe wirkst Du zumindest deutlich anders, eben (lebens-)erfahrener und reifer als manche anderen 18-jährigen. Ohne Dir irgendwie Jugendlichkeit ab- oder ein zu altkluges Auftreten zusprechen zu wollen: bei Junges-Gemüse-Freaks dürftest Du nicht ins Beuteschema passen.