Drei Suspendierungen

In Hamburg versucht man ja, möglichst viel Geld zu sparen und beauftragt private Dienstleister damit, die Schulberatungen zu übernehmen. Einen solchen Termin bei einer regionalen Beratungsstelle hatten meine Mitschülerin, die auch im Rollstuhl sitzt, und ich am letzten Dienstag. Dass dieser Kram privat organisiert ist, war mir vorher nicht klar. Entsprechend empfing uns eine Dame, die kaum Deutsch konnte und noch gar nicht wusste, dass meine Schule in ihrem Zuständigkeitsbereich liegt. Das einzige, was sie versuchen wollte, war, mit einer für ganz Hamburg zuständigen Stelle für Gewaltprävention zu sprechen, nur war dort niemand erreichbar. Geschäftsstelle, Leiter, Stellvertreter – überall nur Anrufbeantworter.

Kurzerhand telefonierte ich mit Frank, der mir empfahl, zur Aufsichtsbehörde zu fahren – auf der anderen Seite der Stadt. Der zuständige Mann mit eigener Vorzimmerdame war seit Wochen krank, wie wir erfuhren, aber es gab eine Vertretung. Diese war auf einem auswärtigen Termin, wie mir die Vertretung seiner erkrankten Vorzimmerdame erzählte, sei er aber ab 12.45 Uhr wieder da und hätte dann auch einen Moment Zeit für uns. Wenn wir also eine Stunde warten wollten…

Also rollten wir in einen frischen Sandwichladen und ließen uns zeigen, wo das Brötchen seine Körner hat, bevor wir dann doch endlich mit einem Herrn in Anzug, Krawatte und polierten Schuhen sprechen durften. Er war nahezu entzückt, dass er „so jungen Besuch“ bekam, bat uns Tee und Kekse an (oder wollen Sie lieber eine Brause?) und fragte uns zunächst, ob wir die Katastrophe in Japan auch so schrecklich fänden. Er möge es gar nicht sagen, aber er hoffe, dass Japan nicht zu weit entfernt sei, um ein Umdenken in der Atompolitik dieses unseren Landes zu erreichen. Er habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Ob wir uns für Politik interessieren würden und ob wir denn schon gegen Atomenergie demonstriert hätten, wollte er wissen.

Dann kamen wir endlich zum eigentlichen Thema. „Haben die Lehrer das mitbekommen?“ Ich sollte ihm erzählen, was im letzten Jahr alles gelaufen sei. Als ich sagte, dass es schonmal eine Anzeige wegen eines Messers gegeben hätte, unterbrach er mich, griff zum Telefon und blubberte hinein: „Ich möchte sofort alle Meldungen über Gewalt an der … Schule aus dem letzten Jahr in meinem Büro haben. Ja? Sofort. Alle. Die sind ja irgendwo abgeheftet. Düsen Sie los und besorgen Sie mir das bitte.“ Dann sagte er zu mir: „Tschuldigung. Erzählen Sie bitte weiter.“

Als ich kurz vor der Aktion mit dem Referat ankam, klopfte es. Eine Frau kam mit einer Akte hinein, die aber leer war. Keine einzige Meldung war vorhanden. Der Typ griff erneut zum Telefon, rief offensichtlich im Schulsekretariat an. Er stellte sich vor und wollte wissen, wie viele Gewaltübergriffe im letzten Jahr an die Behörde gemeldet worden seien. Es muss eine dumme Antwort gegeben haben, denn er antwortete: „Na, Sie sind doch verpflichtet, jeden gewalttätigen Übergriff schriftlich zu melden.“ Er ließ sich zur Schulleiterin durchstellen.

Die war aber wohl nicht zu sprechen. Der Typ machte mit der Sekretärin einen Termin aus, zu dem die Direktorin in die Behörde kommen sollte. Am nächsten Morgen. Es ist nicht meine Absicht, einzelne Leute aus meinem Umfeld in meinem Blog öffentlich lächerlich zu machen. Keineswegs. Aber dass die Direktorin zum Gespräch gebeten wird, muss wohl mal sein. Ein Armutszeugnis, wie ich finde. Und das wiederhole ich notfalls auch, wenn sie vor mir steht. Labert von Positionspapieren und vergisst scheinbar, die Meldungen, zu denen die Schule verpflichtet ist, zu verfassen. Oder das zu überwachen.

Der Besuch bei der Anwältin am Mittwoch war lediglich interessant: Sie rät davon ab, offiziell dagegen vorzugehen. Sie macht die Erfahrung, dass Anzeigen sowieso eingestellt werden, solange kein Blut fließt, und das sei meistens nur noch eine zusätzliche Bestätigung für das beschissene Verhalten solcher Leute. Sie meinte, dass der Weg über die Schulaufsicht der bessere sei.

Und tatsächlich: Gestern abend teilte mir mein zuständiger Vertrauenslehrer am Telefon mit, dass drei Mitschülerinnen bis zur Klärung der Sache vom Unterricht suspendiert worden seien und für das Schulgelände ein Hausverbot erhalten hätten. Es lägen übereinstimmende Aussagen mehrerer behinderter Schüler vor, dass sie von diesen Personen wiederholt körperlich angegriffen worden seien. Die suspendierten Schülerinnen wurden aufgefordert, schriftlich zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Zwei von ihnen haben wegen ähnlicher Dinge bereits einen Verweis in der Akte.

Und seit heute ist eine himmlische Ruhe und fast gespenstischer Frieden im Unterricht. Noch sind alle Spiegel am Auto, keine Reifen zerstochen, es hat mir niemand aufgelauert – das kommt wohl noch. Mein Pfefferspray habe ich derzeit permanent in Reichweite. Und wie ich heute erfuhr, haben sie anscheinend vor ein paar Tagen Hannah zu dritt von hinten angegriffen und sich mit ihr einen kleinen Kampf geliefert. Hannah hat keine Arme, macht alles mit den Füßen – und hat wohl um sich getreten wie ein Pferd, gespuckt und gebissen. Hannah meinte, sie würde sich nicht als Siegerin bezeichnen wollen – aber auch nicht als Verliererin. Immerhin habe sie sich aus dem Angriff befreien und weglaufen können. Sie habe den Vorfall bei der Polizei angezeigt. Es stünden aber drei Aussagen gegen eine. Und sie bereue, keine schweren Schuhe angehabt zu haben – so ein Schuhabdruck im Gesicht wäre wohl ein eindeutiger Beweis gewesen.

6 Gedanken zu „Drei Suspendierungen

  1. Schön, dass die Behörde so reagiert. Aber was sind das für Menschen, die auf so eine niederträchtige Weise mit ihren Mitschülern umgehen. Schön, dass Hannah sich wenigstens wehren konnte.

  2. Abgründe tun sich da auf.

    Zuerst das outsourcen der Schulberatung, dann die nichtweitergemeldeten Gewaltübergriffe…

    IMMERHIN stellt der Herr im Anzug eine willkommene Abwechslung dar.

    Bezüglich "Aussage gegen Aussage": Ich würde in Anbetracht der Umstände wohl immer wenn ich alleine wäre mit meinem MP3-Player rumlaufen, der alles aufzeichnet. Vermutlich naiv und "bringt auch nichts später". (Oder im Gegenteil. Das Vorbereitetsein wird einem sogar noch vorgeworfen…)

  3. Hi Jule,

    da kann man nur das gleiche Fazit ziehen wie so oft:
    Wenn man die richtige Person erwischt, geht plötzlich und ohne große Probleme all das, was die vielen unfähigen Schnarchnasen nicht auf die Reihe bekommen haben.

    Mit ein wenig Druck von oben kann man auf ein mal ernsthafte Maßnahmen ergreifen und nicht nur Augenwischerei mit dem Verfassen eines "Positionspapiers" betreiben. – Schade, dass der Druck von oben notwendig war, aber immerhin geht es dann auf ein mal doch.

    Und das Auslagern der Schulberatung an einen ahnungslosen privaten Dienstleister ist natürlich auch ziemlich lächerlich. Immerhin gibt es aber noch eine Aufsichtsbehörde mit mindestens einem kompetenten Mitarbeiter.

    Aber die Sache mit dem Angriff auf Hannah ist schon ziemlich erschreckend.
    Ich hoffe, dass die Angreifer trotz einer Aussage gegen Drei zumindest angemessen bestraft werden.
    Das griffbereite Pfefferspray ist da für dich wohl leider notwendig.

    Gruß,
    Banane

  4. Ich bin kein Anwalt und kann daher keine Einschätzung abgeben, ob ein solches Verfahren eingestellt werden würde oder ob vielleicht doch etwass dabei raus kommt, wenn mehrere Anzeigen von verschiedenen Leuten gegen dieselbe Person vorliegen. "Denken die sich das alle unabhängig voneinander aus?" würde ich mich als zuständiger Mensch von den Ermittlungsbehörden fragen. Aber ich sitze da nicht und die Realität sieht wohl anders aus.

    Ich bin froh, dass ich nichts näheres mit dir zu tun habe. Wenn ich das mitkriegen würde, dass jemand ein behindertes Mädchen schlägt, ich fürchte, ich würde mich vergessen und denjenigen derbe verdreschen. Nicht wegen der Behinderung, sondern weil jemand die körperliche Unterlegenheit ausnutzt. Saftsack!!! Und war das nicht ne Frau?! Wie nennt man das dann?!

  5. @Joachim: Da wirste vermutlich noch selbst bestraft, weil du das nicht öffentlich gesproche Wort aufzeichnest, und das ist unter Strafe verboten. So eine Aufnahme dürfte vermutlich nicht mal vor Gericht verwendet werden.

  6. Für so ein Diktiergerät in der Tasche wird man nicht bestraft. So eine Aufnahme wird aber vermutlich nicht als Beweis zugelassen.

    Man kann aber natürlich direkt nach dem Gespräch ein schriftliches Protokoll angefertigt haben. So etwas macht Erinnerungen natürlich glaubwürdiger.

    (Natürlich hat niemand eine Aufnahme als Gedankenstütze …)

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