Rechtsfreier Raum

Es gibt noch einen Nachschlag in der Sache mit der fehlenden langen Leitung: Das Eisenbahn-Bundesamt, zuständig für die Aufsicht über die Eisenbahnen in Deutschland, hat die Überprüfung einer Beschwerde mehrerer Menschen aus Hamburg darüber, dass auf der Eisenbahnstrecke Hamburg – Rostock über ein Jahr lang keine Rollstuhlfahrer mitgenommen wurden, weil eine Heizungsstrippe zu kurz war und man den Zug nicht drehen wollte konnte, abgeschlossen.

Leider kann auch die Aufsichtsbehörde nicht weiterhelfen, weil sie über diese „betrieblichen Gestaltungsprozesse“ nicht Aufsicht führen dürfe. Mit anderen Worten: Ob die Deutsche Bahn die Mitnahme von Rollstuhlfahrern ablehnen darf, entscheidet sie ganz alleine, solange sie dem Eisenbahn-Bundesamt eine Ausrede Rechtfertigung liefern kann. Das Eisenbahn-Bundesamt sei nicht einmal berechtigt, zu überprüfen, ob diese Rechtfertigung tatsächlich stimmt – geschweige denn, Alternativen vorzuschlagen.

Das Eisenbahnbundesamt hat als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde über den Eisenbahnverkehr in Deutschland offensichtlich andere Aufgaben und das neu geschaffene Referat „Fahrgastrechte“ taucht vor meinen Augen gerade als zahnloser Papiertiger auf.

In einer schriftlichen Stellungnahme heißt es: „Vor allem verweist man erneut auf die Sicherheitsaspekte, die ein Aussteigen am Bahnhof Hamburg Hbf vorübergehend verhindert hätten. Auch werden erneut betriebliche Aspekte angeführt, die eine andere Wagenreihung … ausgeschlossen hätten. Inwieweit diese Aspekte nun durchgreifen, konnte ich nicht überprüfen, weil sie allein in der Betreiberverantwortung des Eisenbahnverkehrsunternehmens liegen, und das Eisenbahn-Bundesamt keinen Einfluss auf betriebliche Gestaltungsprozesse nehmen darf.“

Und weiter: „So war es gerade eines der Ziele des vom Deutschen Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Eisenbahnneuordnungsgesetzes, den Verantwortungsbereich und die Entscheidungskompetenz der Eisenbahnunternehmen auf dem unternehmerischen Sektor zu erweitern und auf politische oder administrative Vorgaben an die Geschäftsführung zu verzichten. Vor diesem Hintergrund habe ich nicht die Möglichkeit, die betriebliche Frage weiterzuverfolgen.“

Fast schon zynisch klingt die abschließende Floskel: „Gern können Sie sich erneut an das Eisenbahn-Bundesamt wenden, sollten sich weitere Fragestellungen bezüglich Ihrer Fahrgastrechte als Bahnreisender ergeben.“

Damit fasse ich zusammen: Jedes Eisenbahnunternehmen darf die Mitnahme von Rollstuhlfahrern ablehnen, wenn es betriebliche Gründe vorweisen kann. Ob es diese Gründe wirklich gibt, kann niemand überprüfen. Ob sie gewichtig genug sind, wie man sie abstellen könnte und ob sie abzustellen sind, darf niemand vorgeben. Das entscheidet derjenige, der per Gesetz verpflichtet wird, Rollstuhlfahrer mitzunehmen und Züge einzusetzen, in denen das theoretisch möglich wäre, alleine. Zusammengefasst nennt man so etwas wohl einen „rechtsfreien Raum“.

Und nun? Eine Eingabe an den Deutschen Bundestag, mit der Bitte, diesen rechtsfreien Raum zu schließen? Ich weiß es nicht. Passieren muss aber was, denn Rollifahrer werden auf der Linie Hamburg-Rostock nach wie vor nicht mitgenommen.

5 Gedanken zu „Rechtsfreier Raum

  1. Hier ein paar spontane Ideen, die ich nicht weitergehend geprüft habe:

    Vielleicht könnte man die betreffende Bahngesellschaft durch einen Verbraucherschutzverein wegen eines AGG-Verstoßes kostenpflichtig abmahnen lassen und Wiederholung androhen, falls nicht in kurzer Frist Abhilfe geschaffen wird?

    Statt an den Petitionsausschuss des Bundestages würde ich mich außerdem eher an das Bundesverkehrsministerium wenden und gepfeffert auf Art. 3 GG und das AGG verweisen. Die Deutsche Bahn gehört dem Bund, und Beschwerden des Eigentümers werden eher gehört als die des Kunden.

    Außerdem vielleicht eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission, denn die Bahn ist für die Durchsetzung der Personenverkehrsfreiheit zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten wichtig. Es könnte möglicherweise helfen, wenn sich ein ausländischer Rollstuhlfahrer beschwert.

  2. Eigentlich müsste ich mich ja mal wieder über unseren Staat aufregen… aber irgendwie ist die ganze Geschichte dermaßen absurd, dass ich mir das Lachen nicht verkneifen kann. (Was nicht heißt, dass ich das Problem an sich irgendwie lächerlich finde… aber diese Geschichte ist so absurd, dass sie eher wie eine Parodie wirkt.)

    Vor nicht all zu langer Zeit dachte ich noch, ich würde in so etwas wie einem Rechtsstaat leben… oder zumindest einem Staat, der einem Rechtsstaat relativ nahe kommt. – Aber offensichtlich unterscheidet uns von einer Bananenrepublik wirklich nur das Wetter… das weiß ich spätestens seit der Lektüre deines Blogs.
    Die passende Abkürzung (BRD = Bananenrepublik Deutschland) haben wir ja schon. – Und wenn das nicht reicht, nenen wir unseren Staat ab jetzt eben "Absurdistan".

    Gruß,
    Banane

  3. Hi
    Es gibt so Momente im Leben, wo ich….
    aber lassen wir das.

    Ich würde folgendes vorschlagen.
    1. Den ganzen Vorgang an den Bundesverkehrsminister Ramsauer schicken.
    2. Zugleich den ganzen Sums an den Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages.

    3. Und dann noch an den Herrn Vorstand der DB Grube, in Kopie.

    Dabei darauf Hinweisen, dass die Untergeordneten Stellen nicht in der Lage sind dieses Problem zu lösen, und dass es wohl nicht soooooo entsetzlich schwierig sein kann, in Schwerin (oder weiß der Geier wo) ein längeres Kabel hinzustellen, um den Zug auch umgedreht heizen zu können

    Hierbei würde ich auch dezent darauf hinweisen, dass die DB ja bereits in einem Schreiben das Problem als gelöst gemeldet hat.

    http://3.bp.blogspot.com/-kIpf8Gum7wE/TXc-BGdB9VI/AAAAAAAAAPE/TvrndSTsHp4/s1600/heizungskabel.jpg

    LG
    und viel Erfolg dabei
    Mike

  4. Nun, dem Ramsauer dürfte es eher wichtig sein, den Laden einigermaßen flott an die Börse zu bekommen… (Das dürfte auch der Hintergrund sein, daß man unbedingt die Weisungsbefugnis des Verkehrsministeriums abgeschafft hat – ist ja leider nicht die einzige Stelle, wo sich "Rendite um jeden Preis" bei der Bahn zeigt – das ist ja nicht auf Rolliproblematik beschränkt und übrigens der Grund, warum ich auch als Fußgänger außerhalb von Ballungsräumen ungerne, aber gezwungenermaßen auf deren Service verzichte…)

  5. Abendblatt, TAZ, WELT, Spiegel, Stern, RTL, SAT.1 (z.B. Akte 11)… wenn selbst das EBA da nix macht/machen kann, ist der Weg über politische Instanzen garantiert der längere und beschwerlichere gegenüber dem medialen. Leider.

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