Doppelt so behindert

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Irgendwie fühle ich mich gerade ein bißchen falsch verstanden. Und wenn ich es noch einmal durchlese, verstehe ich auch, warum. In meinem Posting fehlen mindestens zwei entscheidende Sätze.

Ich fand nicht krass, dass das geschätzt 6-jährige Mädchen in meiner „Kollegin“ eine Hexe gesehen hat, weil die Körperproportionen nicht die sonst üblichen waren. Ich fand es auch nicht krass, dass das Kind das geäußert hat. Ich weiß auch noch nicht einmal, was dieses Kind mit dem Wort „Hexe“ verbindet, mit Sicherheit nicht alle geschichtlichen, kulturellen und religiösen Hintergründe, die ich damit verbinde. Das meinte ich gar nicht.

Für mich ist es krass, dass ein Kind sich vor jemandem fürchtet und der Mutter nichts anderes einfällt als zu hoffen, dass diese Situation bald vorbei sein möge. Selbstverständlich kann ich nicht erwarten, dass die Mutter adäquat mit der Situation umgeht. Aber warum nicht? Weil sie selbst unsicher ist!? Was spricht dagegen, das Kind auf den Arm oder wenigstens an die Hand zu nehmen und ihm vor Ort zu erklären, dass die Frau keine Hexe ist?

„Nein, Schackeliene, die Frau ist keine Hexe! Die Frau hat eine Behinderung. Ihre Beine und ihre Arme sind nicht richtig gewachsen als sie ein Kind war.“

Das wäre mich Sicherheit pädagogisch noch verbesserungswürdig, aber ich schreibe ja auch ein Tagebuch und keinen Elternberatungsblog. Was ich sagen möchte: Hätte das Kind gesagt: „Mama, die Frau hat Oma Elfriede die Tasche geklaut!“, dann hätte Mama doch auch gesagt: „Nein, Schackeliene, die Tasche sieht nur genau so aus wie die von Oma. Es gibt mehrere solche Taschen. Der Oma gehört eine und der Frau gehört auch eine. Die Oma hat ihre Tasche noch.“

Warum macht man das bei behinderten Menschen nicht? Man ist überfordert, weil Behinderungen noch immer etwas fernes, mysthisches, verhextes, verdrängtes, unberechenbares sind. Man kann mit Sicherheit nicht erwarten, dass sich jeder Mensch eingehend mit dem Thema „Behinderungen“ befasst, aber ich möchte einfach erwarten können, dass meine Anwesenheit keine Sprach- und Ratlosigkeit auslöst! (Und wehe, jetzt kommentiert jemand, dass es ja auch meine „Kollegin“ war, die als Hexe bezeichnet wurde!)

Oder einfach unbeherrschte Reaktionen. Gerade heute telefonierte ich mit unserer Schwimmtrainerin. Ich schwimme im Moment noch nicht wieder, ich könnte es sicherlich tun, nur möchte ich nichts riskieren. Das, was dieses verdorbene Lebensmittel da alles durcheinander geworfen hat, muss erstmal stabil wieder in Ordnung sein, bevor ich leicht bekleidet in einen großen Wasserbassin klettere, den ich mir mit vielen anderen Menschen teile.

Kurzum: Eine junge Frau, eine andere Teilnehmerin, 19 Jahre alt, ist in ihrem Rollstuhl nicht so schnell. Einen Arm kann sie wegen einer Spastik so gut wie gar nicht einsetzen, den anderen auch nur begrenzt, so dass sie nur mühsam vorwärts kommt. Sie träumt aber auch ganz gerne vor sich hin. Ein Trainer löst dieses Träumen immer recht charmant auf, wie ich finde, nämlich mit: „Überall, wo kein Schnee liegt, darf schneller gefahren werden.“

Heute jedenfalls trottete ein anderer Badegast, weiblich, hinter dieser Frau hinterher und sagte: „Kannst du mal zur Seite fahren, ich habe nur für 90 Minuten bezahlt?“ – Und als das binnen 2 Sekunden keinen Erfolg hatte, schnappte die Frau sich die Griffe des Rollstuhls und schob die Rollstuhlfahrerin zur Seite. Und zwar kackfrech links ab in einen Gang zu den Umkleidekabinen, obwohl sie eigentlich geradeaus zu den Rolli-Umkleiden wollte. So wie man am Samstag morgen einen Einkaufswagen in einen Seitengang schiebt, den irgendein Dussel mittig im Hauptgang, mitten im Weg, abgestellt und vergessen hatte. „Und das ohne vorher zu blinken“, fügte die Trainerin in der Erzählung am Telefon sarkastich hinzu.

Unsere Trainerin bekam das nur aus der Ferne mit, nahm aber ihre Beine in die Hand und die Verfolgung auf und stellte die Frau noch auf dem Gang zur Rede. Sie antwortete, dass sie nichts gegen Behinderte habe, sie habe selbst einen kranken Bruder. Dennoch sei diese Frau mindestens doppelt so behindert wie ihr Bruder und man könne doch nun sicherlich auch keine unbegrenzte Rücksichtnahme erwarten.

Tja, dazu, so erzählte sie mir am Telefon, fiel ihr nichts weiter ein als: „Willste paar auffe Fresse?“ – Und das wollte sie wiederum nicht zu laut sagen, schließlich habe man doch so viel Anstand, sich nicht an fremdem Niveau zu orientieren (die Betonung liege auf „fremd“).

Hexen und Vibratoren

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Kurz vor meinem letzten Aufenthalt in der Klinik saß ich mit einer anderen Rollstuhlfahrerin zusammen in einem öffentlichen Linienbus, genauer gesagt in der Linie 232. Die Frau, geschätzt etwas älter als ich, saß in einem elektrisch angetriebenen Rollstuhl. Auch wenn ich nicht automatisch jede Rollstuhlfahrerin und jeden Rollstuhlfahrer, der in öffentlichen Verkehrsmitteln neben mir steht, anspreche, und auch selbst keinen gesteigerten Wert darauf lege, dass sie oder er mich anspricht, kamen wir ins Gespräch. Ich erfuhr eher beiläufig von ihrer Erkrankung, einer spinalen Muskelatrophie.

Es war davon auszugehen, dass diese Frau niemals laufen, vielleicht sogar niemals alleine sitzen lernen konnte. Entsprechend unproportional war ihr Körperbau. Ein im Verhältnis riesiger Kopf zu einem schmalen, kurzen Rumpf und eher kurzen Armen und Beinen ist natürlich der Tatsache geschuldet, dass Knochen kaum wachsen, wenn sie nicht bewegt (und durch die gegensätzlichen Muskeln in die Länge gezogen) werden, salopp ausgedrückt.

Mir fiel ein Mädchen auf, vielleicht 5 oder 6 Jahre alt, das uns gegenüber an der Tür des Busses lehnte und uns anstarrte, wenngleich es um größtmögliche Unauffälligkeit bemüht war. Kurz darauf kam die Mutter dazu, nahm das Mädchen an die Hand – der Bus war kurz vor jener Haltestelle, an der die beiden aussteigen mussten. Das Mädchen sagte zu ihrer Mutter: „Mama, ich habe Angst vor der Frau mit der blauen Jacke. Das ist bestimmt eine Hexe.“

Die Mutter war sichtlich bemüht, zu hoffen, dass das niemand gehört hatte. Man merkte, wie sie angestrengt versuchte, die letzten zehn Sekunden bis zum Aussteigen möglichst schnell vergehen zu lassen, und vermutlich haben sie für diese Frau, die unsere Blicke in ihrem Rücken gespürt haben musste, endlos gedauert. Okay, die Mutter kann nur begrenzt etwas dafür, wenn das Kind so etwas äußert, und ich bin mir sicher, das wurde hinterher aufgearbeitet. Ich hoffe nur, mit einer Erklärung und nicht mit einem Verbot.

Insofern bin ich sehr froh, nicht von Geburt an im Rollstuhl zu sitzen. Dadurch konnte ich zwar mal laufen und muss, nach ihrem Wegfall, diese Fähigkeit entsprechend auch stärker vermissen als all jene Rollifahrer, die das nie konnten – gleichwohl sorgte diese Fähigkeit aber bei mir für halbwegs unauffällige Körperproportionen und setzt mich nicht der Gefahr aus, dass kleine Kinder mich als Hexe sehen.

Ich finde es krass. Ich habe das zum ersten Mal so heftig selbst miterlebt. Dass Leute starren oder beschämt weggucken, ist nichts neues. Obwohl ich es nicht verstehen kann: Selbst vor meinem Unfall hätte ich vielleicht interessiert geguckt, ich hätte vielleicht nicht verstanden, warum die Körperproportionen anders sind, warum jemand verwaschen redet, sabbert oder laut schreit. Aber ich hätte das als Individualität eines Menschens zur Kenntnis genommen. Mit Sicherheit nicht so bezeichnet, aber so wahrgenommen. Berührungsängste ja, bestimmt, in Form einer ausgeprägten Distanz, wie ich sie auch zu anderen, nicht behinderten Menschen hatte. Aber Furcht und Schrecken?

Vielleicht hatte ich inzwischen „zu viel“ mit Menschen zu tun, die eine Behinderung haben. Vielleicht erlaubt mir mein gelebter offener Umgang mit meiner Behinderung aber auch, inzwischen über viele Ängste und Vorurteile meiner Umwelt hinweg zu sehen. Vielleicht habe ich durch diesen Blog viele dieser Ängste und Vorurteile kennen gelernt, vielleicht hat ein zunehmend offenerer Umgang unter Menschen mit und ohne Behinderungen inzwischen die eine Angst oder das andere Vorurteil abgebaut.

Und doch hat mich ein Fernsehbeitrag im ZDF zum Thema Sexualität und Behinderung vor kurzem wieder auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Drei junge Frauen, ebenfalls mit spinaler Muskelatrophie, erzählten, dass ihr (behinderter) Körper oft erstmal als ein zu therapierender Körper wahrgenommen wird, der eine medizinische Herausforderung darstellt; aber nicht mit Lust oder Sinnlichkeit in Verbindung gebracht wird.

Im ersten Moment dachte ich: Toll. Ein aufklärender Beitrag, der mal das eine oder andere Tabu beleuchtet und somit für ein bißchen mehr Nähe sorgt. Aber dann kam die Ernüchterung, als die Sprecherin erzählte: „Heute steht für die drei ein besonderer Ausflug an, zum Frauen-Sexshop in Köln.“ – Und damit war bei mir alles vorbei. Warum ist das bitte ein besonderer Ausflug? Alleine das Wort „Ausflug“ impliziert in diesem Zusammenhang ja schon eine Befreiung aus einem Käfig. Und die ist dann auch noch außergewöhnlich, besonders. Scheiße. Also doch keine Normalität. Sondern etwas verkrampftes.

Klar, ein Besuch im Sexshop bricht ein mehr oder weniger großes Tabu. Egal, ob man als Rollstuhlfahrerin oder Fußgängerin dort auftaucht. Und ich hoffe, lediglich darauf bezog sich dieser Satz. Denn das Tabu darf es gerne auch dann noch geben, wenn alle geschnallt haben, dass eine Behinderung keinen Einfluss darauf nimmt, ob jemand einen Vibrator haben möchte oder nicht.

Fahrtkosten und Rückwärtsgang

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Meine Triathlonsaison ist für dieses Jahr beendet, vielleicht kommt noch irgendwas spontanes im Schwimmen oder eine Ergometer-Party, aber richtige Wettkämpfe – eher nicht. Also hatte ich am Samstag einem „Funktionär“ (mir fällt gerade kein anderes Wort für jemanden ein, der sich im Ehrenamt um seine Freizeit bringen lässt, damit es allen Mitgliedern gut geht) aus unserem Sportverein geschrieben, dass ich gerne meine Fahrtkosten einreichen möchte. Man muss dazu wissen, dass das Land Vereine dabei unterstützt, wenn sie ihren Sportlern im Amateurbereich die Aufwendungen, die sie im Wettkampfbetrieb haben, bezuschussen.

Nicht, dass ich auf finanzielle Hilfe angewiesen bin, aber ich fände es falsch, diese Mittel ungenutzt liegen zu lassen. Dann sind sie nämlich im nächsten oder übernächsten Jahr, wenn sie vielleicht dringend gebraucht werden, gestrichen. Also bitte ich meinen Verein um einen Fahrtkostenzuschuss. Zwei Drittel davon zahlt der Verein aus eigenen Einnahmen, bis zu einem Drittel davon zahlt das Land. Anschließend spende ich die Gesamtsumme wieder an den Verein, zuzüglich eines fiktiven Wertes, den ich voraussichtlich an Steuern spare, wenn ich spende (meistens so fünfzehn bis zwanzig Prozent).

Ich bin in diesem Jahr knapp über 2.500 km gefahren, etliche Strecken mit mehreren weiteren Sportlern. Bei einem Kilometersatz von 20 Cent sind das rund 500 €, von denen das Land 162 € zahlt, der Verein zahlt 338 €. Anschließend spende ich 650 €, weil ich davon ausgehe, dass ich durch eine Spende von 650 € rund 100 € Steuern sparen kann – der Rest geht zu meinen Lasten, ich will ja schließlich nicht profitieren. Somit hat der Verein durch meine Abrechnung (162 + 150 =) 312 € eingenommen, die er für sinnvolle Projekte verwenden kann, zum Beispiel für die Unterstützung von (in diesem Fall konkret drei) körperlich sehr eingeschränkten Menschen aus einer Pflegeeinrichtung, die unbedingt auf ein Vereinsturnier mitfahren wollen, das nötige Kleingeld dafür aber nicht haben.

Ich bin normalerweise nicht für Schmu zu haben, aber wenn ich höre, dass für diese Menschen kein öffentliches Geld da ist (oder nur einmal pro Jahr), während meine Fahrten aus öffentlichen Mitteln unterstützt werden könnten, dann nehme ich doch dieses Geld an und schenke es denen, die es brauchen. Ich würde normalerweise nie darüber schreiben, aber nachdem sich gerade in der letzten Woche einige Vereinskollegen (nein, nicht vom Triathlon) darüber aufgeregt haben, dass ich Fahrtkosten abrechne, muss ich mal dagegen halten. Die jeweils zugehörigen Spenden in den letzten Jahren haben diese Kollegen -wie könnte es anders sein- großzügigerweise übersehen.

Wie dem auch sei, den einen oder anderen Stinker gibt es ja überall. Ich traf mich also heute nach einer Sportveranstaltung mit dem erwähnten „Funktionär“, übergab die Abrechnung, machte vom dortigen Rechner die Online-Überweisung für die Spende klar, bekam die Spendenquittung und quatschte gerade sehr angeregt mit dem Typen (er ist 20 Jahre älter als ich, nicht mein Typ, aber ich liebe es, ihm den Kopf zu verdrehen und mit ihm zu schäkern), als draußen vor der Tür eine Pöbelei los ging.

Ein Rollstuhlfahrer, ein alter Mann, vermutlich über 70, vermutlich nach einem Schlaganfall, bewegte sich mühsam auf dem Gehweg entlang. Mit unserem Verein hatte er nichts zu tun, vermutlich war er bei einer nahe gelegenen Tankstelle und hat sich eine Zeitung geholt – oder sonstwas. Durch das Bürofenster konnte man ihn beobachten und auch hören. Er war halbseitig gelähmt und fuhr rückwärts. Hatte also sein rechtes Bein auf dem Fußbrett, während er mit dem linken sich rückwärts im Rollstuhl sitzend vom Boden abstieß und mit seiner linken Hand durch Bremsen am Greifreifen steuerte. Von Zeit zu Zeit wird er sich umgedreht haben, vielleicht hat er auch spekuliert, dass alle ihn sehen und ausweichen. Ich weiß es nicht; jedenfalls pöbelte eine Radfahrerin, geschätzt Mitte 40, derbst herum, ob er nicht merken würde, dass er rückwärts fährt.

Ich dachte, ich höre nicht richtig. Der alte Mann konnte kaum reden und verteidigte sich mühsam. Ich bekam zunehmend den Eindruck, der Frau ging es nur um Krawall. Sie war von seiner Rückwärtsfahrerei überhaupt nicht betroffen, sie hätte mit dem Fahrrad nicht nur um ihn herumlenken können, sondern die Wege haben sich noch nicht einmal gekreuzt oder gar geschnitten, da er auf dem Gehweg und sie auf dem Radweg fuhr. Am liebsten wäre ich aus dem Büro rausgefahren und hätte ihr ein paar gescheuert, so angepisst war ich von dieser blöden Kuh. Aber natürlich löst man Konflikte nicht mit Gewalt und mein „Funktionär“ stand auch noch vor mir und versperrte mir damit den Weg nach draußen.

Allerdings nicht mehr lange, dann öffnete er die Tür und stellte sich, Arme in die Seiten gestemmt, vor das Büro. Er hat kein einziges Wort gesagt, nur geguckt. Das schien gereicht zu haben, um die Frau unsicher werden zu lassen. Sie blubberte noch irgendwas vor sich hin und fuhr mit einem „glotz nicht so“ davon. Das möchte ich eines Tages auch mal können: Mich irgendwo hinstellen, ein autoritäres Gesicht machen – und alle benehmen sich. Ob ich jemals dorthin komme?

Rollstuhl-Eingang

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Wie öde kann eine Welt doch sein, wenn zwei Wochen lang eine Rollstuhl fahrende Stinkesocke keine Kuriositäten in ihr Online-Tagebuch postet?

Wenn man in einem so einigermaßen kuscheligen Bettchen liegt und von einigermaßen niedlichen Krankenschwestern gepflegt wird, kommt mir hin und wieder die Überlegung in den Kopf, mein Idiotenmagnet könnte doch irgendwo am Rollstuhl montiert sein. Bisher bin ich immer davon ausgegangen, er ist in meinem Körper direkt mit meiner Behinderung verwachsen. Vielleicht könnte eines Tages ein neues Rollimodell, garantiert ohne Idiotenmagnet, eine Marktlücke schließen und zum Verkaufsschlager werden.

Nein, im Ernst: Die Kuriositäten hielten sich in Grenzen. Dafür hat mich ein guter Kumpel aus meinem Sportverein besucht und mir neben stopfender Schokolade auch die Story zu einem jüngsten Erlebnis mitgebracht, das auch mir passieren hätte können. Er hat nicht das gleiche Rollimodell, sondern fährt einen Prototypen, also eine Einzelanfertigung. Aber selbst die scheint es nicht ohne diesen Magneten zu geben.

„Ich komme bei Aldi durch die Eingangstür. Uralter Markt, noch mit Drehkreuz und rechts daneben hängen ein Dutzend orangefarbene Plastiklappen von einer Stange, unter der man seinen Einkaufswagen hindurchschiebt, während man sich selbst durch das Drehkreuz zwängt. Als Rollifahrer hast du da keine Chance. Aber: Das Drehkreuz hat ja eine Paniksicherung. Am Ring drehen, und schwuppdiwupp kann man das zur Seite schieben, durchfahren, und danach wieder hinschieben.

Da das aber wohl zu viele machen, auch gegen die Einbahnstraße und mit mehreren Flaschen Sprit unter der Jacke, haben die in dem Aldi-Markt eine Hupe angebracht. Sobald einer das Drehkreuz verschiebt, gibt es ein lautes Geräusch, etwa wie eine Kindertröte, die man auf dem Jahrmarkt bekommt und bei der Kinder über Stunden fasziniert sind, wenn sich der Papierrüssel auf- und abrollt. Sehr zur Verzweiflung der Eltern. Nur das Ding bei Aldi ist noch gefühlte 10 Mal lauter.

Also vermeide ich natürlich, das Ding zu öffnen und da so einen Lärm zu machen, sondern hole lieber einmal Schwung, Brust auf die Knie und Hände vorweg unter diesen orangenen Lappen hindurch getaucht.

Letztes Mal steht kurz dahinter eine Oma, eine Hand ihre Handtasche, andere Hand eine Packung Apfelsaft, den Mund weit offen. Nach drei Sekunden fängt sie sich, schluckt und sagt: ‚Ich finde das toll, dass die heute immer mehr auch auf Behinderte Rücksicht nehmen müssen. Dieser Rollstuhl-Eingang war mir vorher noch nie aufgefallen.'“

Wir haben so derbe gelacht, dass ich mich verschluckt habe. Tränen in den Augen, alles tat mir weh – und meine Bettnachbarin fand das gar nicht witzig. Sie meinte, das Verhalten der alten Dame sei beschämend und zeuge von flacher Intelligenz, zumal sie ja ihre Einkaufskarre kurz zuvor selbst durch diesen „Rollstuhleingang“ geschoben hatte.

Herrlich. Mehr fällt mir dazu nicht ein.