Einen hab ich noch

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Und nun? Am letzten Tag des Jahres … beste Wünsche an meine Leserinnen und Leser? An meine Freundinnen und Freunde? An mich selbst?

Oder lieber eine Statistik? Einen Jahresrückblick? Verbunden mit einem kleinen Ausblick auf das, was kommt?

Oder eine Videobotschaft? Oder zumindest ein paar aktuelle Fotos? Oder mal etwas handgeschriebenes, eingescanntes?

Wenigstens eine neue Fragerunde oder die aktuelle Auswertung der Suchanfragen, die meine Leser auf diese Seite gebracht hat, wäre doch passend!

Oder nichts von alledem? Einfach ein letzter Beitrag für das Jahr 2012, der sich nicht wesentlich von den anderen Zweitausendzwölfer-Beiträgen unterscheidet?

„Stinkesocke, entscheide dich schnell, das Jahr ist bald vorbei!“

Nun führe ich schon Selbstgespräche. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ich mich nicht entscheiden kann. Also setze ich all diese Ideen um, dafür aber keine richtig. Ich verwende Smilies in meinem Blog ja nur äußerst selten, aber hier würde jetzt mal der übermütige mit der rausgestreckten Zunge passen. Sorry, ich bin gerade etwas übermütig. Warum? Ich denke, weil ich froh bin, wenn dieses Jahr vorbei ist. Nicht, weil 2012 nun ein so schlechtes Jahr war, nachzulesen in meinem Blog; sondern, weil 2012 nun kein so gutes Jahr war, nachzulesen in meinem Blog. Noch ein Zunge-Raus-Smilie. Nochmal sorry.

Es wäre falsch zu sagen, dass dieses Weihnachtsfest das schönste seit Jahren war. Die letzten Weihnachtsfeste, die ich gemeinsam mit meinen Freunden und Mitbewohnern verbracht habe, waren sehr schön. Es war in diesem Jahr einfach anders. Die Atmosphäre war eine völlig andere. Sie war wesentlich familiärer. Da mag ich eine sentimentale, konservative, vielleicht auch kitschige Erwartungshaltung haben, und vielleicht hat Maries Familie auch nur diese Erwartungen bedient, aber ich bitte vielmals um Entschuldigung, wenn ich diese Gedankengänge nicht weiter verfolge, sondern einfach die schönen Tage genieße, die mir Maries Familie über Weihnachten bereitet hat.

Ich vermute, dass die Psychologin, … Nein, ich muss anders anfangen. Wie ja bereits bekannt, ist das Termin-Management in dem Krankenhaus, in dem meine Psychologin arbeitet, unterirdisch. So wusste ich auch nichts davon, dass meine Psychologin zwischen Weihnachten und Neujahr Urlaub hatte, obwohl ich es mir hätte denken können. Der Termin in der zweiten Dezemberwoche war ausgefallen, so hatte ich noch einen am 28.12. Als ich das Kärtchen im August bekommen hatte, stand wohl weder der Urlaub fest, noch habe ich realisiert, dass der 28.12. ja direkt zwischen den Feiertagen liegt.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich saß einer anderen Dame gegenüber. Und die war wohl über das Termin-Management genauso genervt wie ich, nur mit dem Unterschied, dass ich das selten an Unbeteiligten auslasse. Sie dachte, wenn ich da heute in ihrem Vertretungskalender stehe, wäre ich eine Patientin in einer akuten Krise. Ob ich wieder nach Hause fahren soll, habe ich sie gefragt, als wir realisierten, warum wir uns gegenüber saßen. „Nein, wenn wir beide schonmal hier sind, machen wir auch was draus. Allerdings werden wir die Dinge, an denen sie langfristig mit Frau … arbeiten, außen vor lassen müssen, da kann ich mich natürlich nicht so schnell reinfinden, und das will ich auch nicht. Wie war Ihr Weihnachtsfest, Jule?“

Tja, und als die Frage kam, ob es möglicherweise sein könnte, dass Maries Familie nur meine kitschige Erwartungshaltung bedient hätte, fühlte ich mir erneut vor Augen geführt, wie sehr sich meine Psychologin auf meine Wellenlänge einstellen kann. Falls sie nicht auf derselben sein sollte.

Maries Eltern hatten zu Weihnachten ein gemeinsames Geschenk für mich, verbunden mit einem Wunsch. Sie möchten gerne in den nächsten Monaten für eine Woche dem Hamburger Schmuddelwinter entfliehen und in die Sonne fliegen. Wann und wohin, das wissen sie noch nicht und das hängt auch von Dienstplänen und Urlaubsmöglichkeiten ab. Sie wünschen sich, dass Marie dabei ist. Und sie wünschen sich, dass ich auch mitkomme.

Lass ich mich zwei Mal fragen, ob ich eine Woche in die Sonne fliegen möchte? Natürlich nicht. Marie sagte zu mir später: „So einen Urlaub würde ich inzwischen nicht mehr machen. Als Kind ja, aber inzwischen? Alleine mit meinen Eltern in ein Hotel? Ich weiß nicht. Und mit meinen Freunden würde ich das auch nicht machen, wer könnte sich das leisten oder wollte so viel Geld dafür ausgeben? Da würde ich eher eine Woche an der Ostsee zelten und jeden Abend mit 10 Leuten um ein Lagerfeuer sitzen. Aber geschenkt, wenn meinen Eltern das wichtig ist, und du auch mitkommst? Das ist doch super!“

Falls ich also in 2013 mal wieder eine Woche lang so gar nichts schreibe, könnte es diesmal auch durchaus daran liegen, dass es am Urlaubsort kein Internet gibt!

Themenwechsel: Eine Fragerunde werde ich in 2013 sicherlich auch nochmal machen. Und die aktuelle Auswertung von Suchanfragen beschränke ich auf die ersten drei Plätze: Jule, Stinkesocke und Rollstuhl! Supi!

Nochmal Themenwechsel: Ein aktuelles Bild. Ich nehme das, gesehen beim Kaufmann meines Vertrauens.

Und stelle die Frage in den Raum Blog: Bekommt man ein gutes Gewissen, wenn man die gammeligen reifen Orangen isst? Hat der Verkäufer ein gutes Gewissen? Möchte er eins bekommen? Oder sind es vielleicht die Orangen selbst, die ein gutes Gewissen haben, früher mal hatten oder für eine Spende von nur einem Euro pro Netzhose höchstwahrscheinlich bekommen werden? Ich weiß es schon wieder nicht.

Huch, da sind wir ja schon bei der Statistik. Wie gesagt, heute mache ich alles, aber alles nicht richtig: Es waren in diesem Jahr mal wieder 147 Beiträge. Ein Schelm, wem das nicht auffällt. Aber dafür knapp eine Million Seitenaufrufe. Die am häufigsten geklickten Beiträge kann man übrigens jederzeit hier rechts auf meiner Webseite sehen: „Nur die Augen“ liegt derzeit uneinholbar vorn. Ein Erlebnis, das mich sehr bewegt hat.

Was wird kommen? Ich verrate nur so viel: Ich werde auch in 2013 bloggen! Und ich freue mich, wenn mich auch in 2013 viele Menschen lesen mögen!

Womit ich schon am Ende meines letzten Posts für 2012 angekommen bin, und damit bei den besten Wünschen an alle Freundinnen, Freunde, Leserinnen, Leser, mich selbst und alle sich daraus ergebenden Schnittmengen: Ich wünsche ein gesundes und glückliches 2013!

Regen, Bedrohung und ein Kuss

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Vor etwa einem Vierteljahr hatte ich von einem Typen erzählt, dessen Frau mit einem neuen Mann durchgebrannt ist, nachdem sie von diesem neuen Mann schwanger geworden ist. Sie hat ihn von heute auf morgen sitzen lassen (vorher noch ein Haus mit ihm zusammen gekauft) und über die letzten Wochen und Monate versucht, ihm mit allen fiesen und megafiesen Tricks das Leben schwer zu machen.

Für mich ist der Typ ein guter Kumpel, den ich sehr mag, und ich habe ein ums andere Mal ziemlich mitgelitten, wenn er mir erzählt hat, was sie alles veranstaltet, um ihn zu ärgern. Die Geschichten klingen teilweise so absurd, dass man sie kaum glauben kann; wenn es nicht einige Puzzleteile gäbe, von denen er nichts wissen konnte, und die sich herrlich in das Gesamtbild seines Dramas einfügen. So tauchte seine Ex mehrmals bei unserem Training auf und versuchte unter anderem mich ins Kino einzuladen. Wie doof muss man bitte sein?

Nachdem sie bei mehreren Leuten abgeblitzt ist, ist sie eines Tages zu unseren Sportrollstühlen gefahren und hat sie einzeln aus einem Lagerraum in den Regen auf die Wiese rausgeschoben. Den Schlüssel hatte sie aus dem gemeinsamen Haus der beiden, zu dem sie auch noch Schlüssel hat, weggenommen und hinterher auf der Wiese an gut sichtbarer Stelle fallenlassen.

Was das sollte, kann man nur schwer nachvollziehen. Er hatte an dem Morgen einen Termin bei einem Psychotherapeuten und sollte nun in die Bedrängnis kommen, das vor seinen Sportkollegen offenbaren zu müssen. So hat sie es jedenfalls hinterher zugegeben, nachdem unser Dorfpolizist sie in die Mangel genommen hat. Der rief nämlich Tatjana an und fragte, ob das seine Richtigkeit hat, dass die ganzen Sportrollstühle im Regen auf der Wiese stehen.

Nun interessiert es die Stühle nicht so, ob sie nass werden, die werden auch wieder trocken, aber es muss ja nicht erst sein, dass die einer klaut oder sie in die Elbe wirft oder ähnliches, immerhin kosten die ja auch ein bißchen was. Der Dorfpolizist hatte sich gewundert, als er bei einer Streifenfahrt sah, dass die ganze Wiese voller Rollstühle stand. Und, in den eher ländlichen Gebieten Hamburgs ist es genauso wie in jedem kleinen Dorf: Auf Anonymität, wie in der Großstadt, darf man nicht setzen. Und so dauerte es nicht lange, bis der Dorfpolizist jemanden gefunden hatte, der etwas zu der Person sagen konnte, die die Stühle auf die Wiese geschoben hat. Der Busfahrer, der dort den ganzen Tag zwischen dem Deich und dem nächsten großen S-Bahnhof, immerhin 15 Kilometer entfernt, pendelt, konnte meines Kumpels Ex genau beschreiben.

Meinem Sportkollegen war das sichtlich peinlich. Jungs gehen irgendwie nicht gerne zur Psychotherapie, oder? Mensch Leute, was seid ihr für Mimosen? Ihr bürstet auch alle Eure Haare ohne Spiegel, oder? Achso, ihr tragt Glatze und rasiert euch dort oben selbst. Man, wacht mal auf. Was ist dabei, sich ein Feedback von jemandem zu holen, der das Fach studiert hat und an sich und seiner Persönlichkeit zu arbeiten?

Egal. Ich habe jedenfalls einige Zeit in den letzten Wochen und Monaten damit verbracht, ihm zuzuhören, mit ihm zu quatschen, auch wenn ich ihm darüber hinaus nicht wirklich gute Ratschläge geben konnte.

Allerdings habe ich ihm auch den Kontakt zu Frank vermittelt, der es geschafft hat, das Drama mit dem Haus so abzuwickeln, dass mein Sportkollege dort ab Neujahr 2013 alleine wohnen kann. Bisher lief der Kredit auf beide, wobei er über einen Bausparvertrag bereits ein Fünftel des Hauses alleine angezahlt hatte. Nun wollte seine Ex, dass das Haus mit allem, was er vor allem an Arbeit reingesteckt hat, verkauft wird, mein Kumpel sich also irgendwo eine neue Bleibe suchen muss (als Rollstuhlfahrer sucht man in Hamburg gut und gerne ein paar Jahre) und dann beide über die nächsten Jahre die Differenz zwischen Verkaufserlös und noch offener Kreditsumme abzahlen (ist am Anfang ja häufig so, dass der Verkauf weniger einbringt als die noch offene Kreditsumme).

Frank hat es geschafft, sie davon zu überzeugen, dass man über ein Gutachten einen fiktiven Kaufpreis festlegt und sie die Hälfte dieser Differenz jetzt zahlt und sofort aus der Sache komplett raus ist. Anfangs wollte sie nicht, allerdings wurde sie dann noch von ihrem Anwalt beraten, dass der tatsächliche Verkauf für sie eher teurer wird. Und so hat sie sich nun Geld geliehen und sich quasi aus dem Vertrag rausgekauft. Damit muss sie zum Jahreswechsel alle Schlüssel abgeben, er kann wohnen bleiben, die Bank hat einer Reduzierung der (künftig von ihm alleine zu tragenden) monatlichen Rate zugestimmt, so dass er zwar keine riesengroßen Sprünge mehr machen kann, aber dennoch genug Kohle hat, um gut leben zu können. Und er ist seine Ex ein für alle mal los und kann ihr aus dem Weg gehen.

Vor etwa zwei Wochen tauchte seine Ex mit ihrem neuen Lover beim Schwimmtraining auf und fing mich bereits an der Eingangstür ab. Ich hatte versucht, gar nicht mit ihr ins Gespräch zu kommen und ihr gleich gesagt, ich möchte mich nicht mit ihr unterhalten, woraufhin sie aber meinte, sie wolle sich bedanken, dass ich ihrem Ex geholfen hätte, es sei auch in ihrem Interesse, dass man unter die alten Geschichten möglichst rasch einen Schlussstrich ziehen könnte. Ich war völlig perplex, schaffte es aber, noch einmal zu wiederholen: „Du, sieh es, wie du willst, aber ich möchte mich mit dir nicht mehr unterhalten. Akzeptiere das bitte.“

Sie stellte dann ihren Neuen vor und sagte, der wollte mir auch noch was sagen. Er stand mit dem Rücken zur Glastür, durch die ich eigentlich in die Halle wollte. Die Frau ging weg. Ich überlegte, ob ich auch schnellstens das Weite suchen sollte, denn mir war die Situation alles andere als geheuer. Ich befürchtete allen ernstes, dass er mir jetzt eine scheuern würde oder noch heftiger, vielleicht ein Messer auspackt. Vom Aussehen her assoziierte ich ihn am ehesten mit einem Gangster. Meine Flucht über den matschigen Boden wäre aussichtslos, dann lieber keine Angst zeigen. Ich nahm den Rucksack von meiner Rückenlehne ab und stellte ihn vor mir auf den Schoß. Mit dem könnte ich vielleicht kurzfristig was abwehren und dabei laut schreien. Genügend Leute waren ja um mich herum.

Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Er sagte: „Ich bin ein Freund von Klartext. Ihr Müll, also ihr Ex, hat durch deine Machenschaften von meiner Braut fett Kohle abgegriffen. Was meine Braut mit ihrem Müll macht, geht mich nichts an, solange sie die Finger von ihm lässt. Aber du hast meine Braut abgezogen, und das geht mich verdammt was an. Irgendwann, das verspreche ich dir, treffen wir uns mal. Wie wäre es bei einem von euren kuscheligen nächtlichen Ausflügen auf dem Deich? Oder so. Am besten bestellst du dir schonmal einen neuen Rollstuhl. Am besten dann gleich einen elektrischen.“ – Ohne ein weiteres Wort zog er grinsend davon.

Ich war völlig neben der Spur und wohl auch ziemlich blass, als ich in den Vorraum der Schwimmhalle kam. Die anderen fragten mich gleich, ob irgendwas passiert sei. Noch bevor ich erzählen konnte, kam ein älterer Herr, schätzungsweise um die 70, auf mich zu, recht sportlich, mit Jeans bekleidet, eine braune Aktentasche, eine Fahrradpumpe und eine Fahrradklammer für das Hosenbein dabei, schlohweißer Haarkranz, sonnengebräunte Haut (fällt im Winter ja eher auf), auf mich zu. Er hatte sein Fahrrad an die Laterne angeschlossen, während ich da vor der Eingangstür stand. Er sagte: „Ist alles in Ordnung bei Ihnen? Kennen Sie den Mann? Soll ich die Polizei rufen?“

Ich schüttelte den Kopf, nein, bis die Polizei da ist, wäre er schon weg. Und über alles andere würde er eher lachen. Der Typ gab mir seine Visitenkarte. „Falls Sie doch noch zur Polizei gehen, können Sie denen meinen Namen sagen. Ich habe alles mitgehört.“

Ein pensionierter Oberstudienrat mit einem hebräischen Vornamen. Wurde dann doch noch wichtiger Zeuge, nachdem Frank, als ich ihm das zu Hause erzählte, meinte: Gleich anzeigen. Frank glaube zwar nicht, dass wirklich etwas passieren würde, aber falls doch, ist die Ankündigung dazu wenigstens aktenkundig. Eine qualifizierte Bedrohung sei das allemal gewesen und jenachdem, ob es über ihn schon eine Akte gibt, werde das auch nicht unbedingt billig.

Gestern abend nun traf ich zufällig meinen Kumpel, der ab Neujahr alleine wohnen darf. Wir redeten kurz, nur da ich das eilig hatte, verabschiedeten wir uns schnell wieder. Üblicherweise umarmen wir uns dabei einmal kurz. Gestern nun drückt er mich so fest, zieht mich zu sich ran, dass ich kaum noch Luft bekomme, und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Er sagte: „Denk darüber, was du willst, aber das musste sein. Nach allem, was du in den letzten Monaten für mich getan hast. Das soll keine Anmache sein, sondern zu 100% Dankbarkeit. Du glaubst gar nicht, wie erleichtert ich bin, dass das vor allem mit dem Haus endlich geregelt ist.“ – Und noch bevor ich irgendwas sagen konnte, war er weg.

Von einem Komma, dem Weltuntergang und Weihnachten

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Es gibt mal wieder was lustiges: Als ich gestern mit der U-Bahn nach Hause fuhr, stand auf der elektronischen Zuganzeige am Bahnsteig der Hinweis: „Achtung! Letzter Zug vor dem Weltuntergang!“ – Leider war der Akku meines Handys schon so weit leer, dass ich kein Foto mehr machen konnte. Schade. Ein Typ regte sich auf, dass da ein Komma fehle…

Gleiches (Akku-) Problem hatte ich auch kürzlich beim Schwimmtraining, allerdings hatte dort jemand ein Billighandy dabei, um dokumentieren zu können, was regelmäßig bestritten wird, wenn man sich bei den zuständigen Stellen beschwert:

Das einzige barrierefreie WC im Schwimmbad ist seit Wochen defekt. Eigentlich wurde an der Kasse gesagt, es sei wieder in Ordnung, aber als ein 12jähriges Mädchen aus der parallel zu uns statt findenden Gruppe in die Gemeinschaftsumkleide zurück gerollt kam und Tatjana ansprach, ob sie mal bitte mit ihr kommen könne, ahnte ich schon, dass man uns mal wieder für dumm verkauft hatte. Tatjana kam eine Minute später ohne das Mädchen zurück, kniete sich vor mir hin, nahm meine Hand und guckte mich mit ihrem unschuldigsten Blick und klimpernden Wimpern an: „Tatjana, darf ich in der Dusche Pipi machen?“ – „Nur im Handstand“, blödelte ich zurück.

Wir waren vorgestern auf dem Weihnachtsmarkt. Mit acht Rollis und sechseinhalb zweibeinigen Fußgängern enterten wir die Spitalerstraße, den Rathausmarkt und den Jungfernstieg. Es war so brechend voll, dass wir fast nur darauf achten mussten, niemandem über die Füße zu fahren. Die meisten Leute waren noch nicht in ihrer Weihnachtsruhe angekommen, sondern suchten hektisch und genervt nach Geschenken. Am besten fand ich die Werkzeuge in Lebensgröße aus Schokolade: Schrauben, Muttern, Schraubenschlüssel, Hammer, … konnte man alles aus Schokolade kaufen.

Den Spruch, ob wir hier nun unbedingt mit unseren Rollstühlen durchfahren müssten, hörte ich mindestens drei Mal. Ich hatte mir vorgenommen, an diesem Tag auf keinen dummen Spruch zu reagieren und alles ignoriert. Beim dritten Mal kam die Antwort allerdings von direkt hinter mir: „Ja, sollen sie über das Pflaster krabbeln oder was?“, fragte eine Stimme, die ich irgendwo schon einmal gehört hatte. Ich drehte mich um und blickte in das Gesicht eines Mannes um die 60, das ich bisher nur aus dem Fernsehen kannte. Bevor ich irgendwas erwidern konnte, war er auch schon wieder in der Menge verschwunden.

Schade, ich hätte ihn bei zwei weiteren Sprüchen gerne noch einmal hinter mir gehabt. Erstens: „Wünschen Sie sich zu Weihnachten, noch einmal wieder laufen zu können?“ – Von einer wildfremden Frau. Und: „Ich wollte Ihnen nur sagen, dass sich eine ihrer Behinderten aus dem Staub gemacht hat!“ – Zu einer unserer Fußgängerinnen, als eine siebzehnjährige Rollifahrerin in die Sparkassenfiliale in der Spitalerstraße abgebogen ist, während der Rest der Gruppe schonmal langsam weiterrollte…

Ich werde den Heiligen Abend zum ersten Mal seit fünf Jahren nicht für mich alleine verbringen. Die letzten Jahre bin ich abends mit einigen Leuten aus der WG in den Michel zum Gottesdienst gefahren, in diesem Jahr bin ich von Marie und ihren Eltern eingeladen worden, Weihnachten mit ihnen zusammen zu verbringen. Ich freue mich auch schon sehr darauf, denn Cathleen fährt am 24. zu ihrer Mutter und ihren jüngeren Geschwistern, Frank und Sofie sind heute für eine Woche in die Sonne geflogen, … ich wäre sonst so ziemlich alleine. Meine beiden Halbschwestern hatten auch gefragt, ob ich zu ihnen kommen möchte, aber mein Vater will wohl auch dorthin – vielen Dank.

Ich wünsche auf diesem Weg allen meinen Leserinnen und Lesern ein paar ruhige Festtage!

Der grüne Ball unter meinem Bett

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„Na Jule, wie fühlt man sich so als Mutmacher?“, hörte ich heute noch vor dem ersten Guten-Morgen-Gruß. Auf mein Stirnrunzeln tippte mein Mitbewohner auf die Titelseite der heute erschienenen Ausgabe des Magazins „Menschen“ der Aktion Mensch für das 1. Quartal 2013.

Wer die Mutmacher sind, von denen im Heft die Rede ist?

– Pozzo di Borgo, eins der beiden Vorbilder für den Film „Ziemlich beste Freunde“
– Die Macher von „Leidmedien.de“, die sagen, was Journalisten beim Thema Behinderung beachten sollten
– Samuel Koch, der während der Sendung „Wetten, dass …?“ verunglückte
– Ulla Schmidt, die ehemalige Bundesministerin und neue Bundesvorsitzende der Lebenshilfe
– Jule Stinkesocke!

Nein? Doch!

Ja, es kam überraschend, als ich vor einigen Wochen davon erfuhr und gebeten wurde, mich auf drei DIN-A4-Seiten des Magazins zu verewigen. Ich habe es gerne getan und mir die Geschichte von einem gespenstischen grünen Ball ausgedacht, der mich am Vorabend meines Unfalls zu Hause besucht. Ich gebe zu, es gehört schon eine gehörige Portion Übermut dazu, so etwas zu schreiben. Aber davon habe ich ja bekanntlich genug.

Online kann man die Geschichte übrigens auch lesen, und zwar auf der Webseite des Magazins „Menschen“ unter „Spezial“ – mehr verrate ich nicht.

Wie macht eine Rollstuhlfahrerin eigentlich einen Knicks? Egal. Ich bedanke mich jedenfalls für diese Auszeichnung und … ja, ich bin schon stolz. Als ich heute meiner Psychologin eine Mail mit dem Link geschickt habe, schrieb sie mir vom Handy einigermaßen sprachlos zurück: „Donnerwetter! Meinen Glückwunsch!“