Kleines Ego

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Am letzten Wochenende habe ich es endlich mal wieder geschafft und zusammen mit Marie mit dem Rennbike trainiert. Natürlich musste es genau zehn Minuten, nachdem wir gestartet waren, zu regnen anfangen und dann auch erstmal bis zehn Minuten vor Ende nicht wieder aufhören. Aber wir sind ja nicht aus Zucker und die anschließende warme Dusche hat uns schnell vergessen lassen, wie kalt der Regen noch ist und wie schmutzig man werden kann.

Wir fahren ja schon extra nicht auf den Fahrbahnen, wie etliche Fußgänger auf ihren Rennrädern. Sondern auf den Radwegen. Es gibt einige Strecken in Hamburg, wo das gefahrlos und auch zu vernünftigen Trainingsbedingungen möglich ist. Mit gewissen Abstrichen, die man machen muss, wenn man auf Radwegen trainiert. Aber auch wenn wir mit unseren drei Rädern gegenüber den zweirädrigen Kolleginnen und Kollegen zumindest damit im Vorteil sind, dass wir nicht wegrutschen und uns auf die Nase legen können, hilft das natürlich nicht darüber hinweg, dass einige Radwege von Autos zugeparkt sind.

Und dass sich einige Autofahrer offensichtlich einen Spaß draus machen, uns zu duschen. Anders kann man kaum erklären, warum jemand bei völlig freier, weit einsehbarer Straße so dicht am Rand und so schnell durch eine tiefe Pfütze fahren muss, dass sich ein eiskalter, dreckiger Schauer im hohen Bogen über uns ergießt. Wohl gemerkt: Der Fahrer fuhr im Gegenverkehr am Rand. Soll heißen: Er ist extra nach links gewechselt, um einmal durch die Pfütze zu fahren. Einen anderen Grund konnte man nicht erkennen.

Leider waren wir vorher zu überrascht und hinterher zu nass, um das Kennzeichen zu erkennen. Aber das war nun wirklich nicht witzig. Ich weiß nicht, was sich solche Spinner dabei denken. Vermutlich brauchen sie sowas für ihr kleines Ego. Traurig.

Wie gewonnen, so zerronnen

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Zehn Euro war der Gutschein wert, den Maries Vater kürzlich im Baumarkt gewonnen hatte. Diese zehn Euro waren schnell verdientes Geld. Wie wertvoll zehn Euro sein können, bekam ich heute vor Augen geführt, als ich im Supermarkt an der Kasse stand. Ein junger Mann stand vor mir, er war etwa fünf Jahre älter als ich. Er hatte Brot, Salami, mehrere billige Tiefkühlpizzen Margarita, Mehl, Eier und Milch auf dem Laufband. Alles zusammen sollte knapp zehn Euro kosten. Als die Kassiererin den Preis nannte, griff er sich theatralisch in alle möglichen Taschen. Mir war sofort klar, dass da was nicht stimmte. Dann sagte er: „Ich habe mein Portmonee vergessen. Können Sie das kurz zur Seite packen und ich bringe Ihnen das Geld gleich vorbei?“

„Das darf ich nicht. Ich muss das stornieren und wieder zurückbringen. Dann müssten Sie gleich noch einmal einkaufen. Aber das sind ja nur ein paar Teile.“ – Die Frau stand von ihrem Stuhl auf und brüllte nach dem Stornoschlüssel. Ich mischte mich ein: „Was kostet das?“ – „Neun Euro achtundsiebzig.“ – „Zahl ich mit. Bevor das jetzt hier eine halbe Stunde dauert und der Kollege in fünf Minuten noch einmal durch den ganzen Laden turnt.“

Der junge Mann blickte beschämt zu Boden. Irgendwas stimmte da wirklich nicht. Aber egal. Mein Einkauf kam auf dieselbe Rechnung, ich zahlte mit EC-Karte und fertig. Während er mich fünf Mal fragte, ob er mir helfen sollte, fiel mein Blick in seinen Rucksack. Drin lag ein Portmonee. Ich holte einmal tief Luft.

Auf dem Weg zum Ausgang fragte ich ihn: „Und, wo ist Ihr Portmonee nun? Im Auto? Oder zu Hause?“ – „Ehrlich gesagt habe ich kein Geld. Ich hatte gehofft, dass sie die Tüte mit dem Zeug an die Seite legt, dann hätte ich sie mir geschnappt und hätte Hackengas gegeben. Aber dann kamen Sie und haben alles durcheinander gebracht.“ – „Das ist doch Scheiße“, fuhr ich ihn an. „Sie wohnen doch hier irgendwo. Wollen Sie sich demnächst nur noch verstecken, weil Sie Angst haben müssten, hier jemandem über den Weg zu laufen, der Sie wiedererkennt?“ – „Ich wohne auf der anderen Seite der Stadt. Sorry. Es tut mir Leid. Ich kriege von meinem Chef noch drei Monatsgehälter und jeden Tag hält er mich hin.“

„Dann gehen Sie doch mal zum Amt und lassen sich einen Vorschuss auszahlen. Bevor Sie hier Essen klauen gehen.“ – „Und wo soll ich nächsten Monat arbeiten? Wenn das Amt da Druck macht, schmeißt er mich doch raus. Ich suche ja schon was Neues, aber so einfach ist das alles nicht.“ – Ich drückte ihm zehn Euro in die Hand. „Der Monat ist noch lang“, sagte ich. Und verwand. Muss ja für ihn nicht noch peinlicher werden. Armes Schwein. Irgendwie.

Rapunzelschmetterlinge

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Auf öffentlichen Straßen sehe ich bisweilen jede Menge Spinner. Welche, die ohne Führerschein fahren und falsch abbiegen, aber auch welche, die in Bäumen sitzen und wie Rapunzel im geeigneten Moment ihr Haare herunterfallen lassen.

Vor den Rapunzelschmetterlingen wird in Niedersachsen (unter anderem) neuerdings gewarnt. Und ich muss gestehen, die Folgen, die so ein Kontakt mit den Haaren dieses Falters machen kann, sind schon beeindruckend. Ich selbst habe es zwar noch nicht live miterleben müssen, aber wir bekamen gerade ein Video gezeigt, welche zum Teil doch heftigen Symptome auftreten, wenn jemand allergisch auf diesen aus meiner persönlichen Sicht eher hässlichen Schmetterling reagiert. Ein allergischer Ausschlag (Raupendermatitis) ist dabei noch eher nebensächlich, auch wenn es zwei Wochen dauern kann, bis der wieder weg ist.

Insofern halte ich den Warnhinweis, den ich heute bei einer Tour mit meinem Handbike sah, schon berechtigt. Ganz im Gegenteil zu einer Gruppe Männer, die, mit Fahrrädern und einem Anhänger voller Einmalgrills unterwegs, mitten auf dem Radweg vor diesem Schild stehen blieb. Teilweise hatten sie ihre Räder abgestellt. Mitten auf dem Radweg. Und zwar so, dass ich nicht mehr vorbei kam. Etwa zwanzig Leute, alle zwischen 50 und 70 Jahre alt, alle besoffen und laut. Ich musste ebenfalls stehen bleiben und fragte: „Na, Jungs, lasst ihr mich mal durch?“

Ein älterer Mann, in einer Hand eine PET-Flasche mit Bier, hatte gerade einen so tiefen Schluck aus der Plastikpulle genommen, dass er sein Gesicht beim Herunterschlucken verzog, bevor er mit der Bierflasche auf das Schild deutete sagte: „Morgen wäre Adolf 125 geworden – und wir warnen vor dem Eichenprozessionsspinner. Ist das nicht eine verrückte Welt?“ – „Stimmt.“, erwiderte ich mit bierernster Miene. „Aus dieser Perspektive habe ich das noch nie betrachtet.“ – Der Mann guckte mich einen Moment lang an, dann lachte er schallend laut und klopfte sich mit der rechten, freien Hand, abwechselnd auf seinen linken und rechten Oberschenkel. „Deutschland!“, brüllte er laut. – „Deutschland!“, brüllten die anderen Männer im Chor zurück. Ein einzelner brüllte laut „Athen!“ hinterher. Der Schenkelklopfer lachte erneut laut und sagte dann: „Keine Drohungen, mein Kumpel an der Ecke macht das beste Gyros! Und er hat einen Ouzo“, sagte er und küsste seinen Daumen und Zeigefinger, „herrlich – nur mein kleiner Neffe mag am liebsten Pommes.“ – Erneut lachten alle.

Dann durfte ich vorbei fahren. Hinter mir hörte ich einen Mann sagen: „Ich hab das schon von meiner Großmutter gelernt: Eichen sollst du weichen.“ – „Siehste, die hat das damals schon gewusst, ohne solche Verkehrszeichen“, sagte ein anderer. Wieder lachten alle lauthals. Ich musste schmunzeln. So ein verrückter Haufen. Auf dem Rückweg musste ich natürlich noch ein Foto machen. Nicht von dem Haufen. Sondern vom Schild. Guckst du:

Partymeile

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Beim Training ist es ganz normal: Weite Klamotten bleiben in den Rädern oder Speichen hängen, Wasser auf der Straße durchnässt schlabberige Ärmel – eng und synthetisch sind hier die beiden Zauberwörter. Was für das Training gilt, gilt für meinen Alltag aber eher nicht. Es sei denn, wie schon mit dem letzten Beitrag eingeleitet, Mann steht drauf. Und was tut rollende Frau nicht alles für rolligen stehenden Mann…

Es mag verwirren, dass mich eine Fahrt im Rollstuhl über Hamburgs Reeperbahn weniger beeindruckt als selbige in schwarzen Wetlook-Leggings, engem Top, dezent geschminktem Gesicht und offenen Haaren. Ich hatte das Gefühl, sämtliche Blicke kleben an mir und jederzeit könnte ich jemanden treffen, der (oder besser die) mich (so nicht) kennt und mich darauf anspricht. Ich weiß nicht, warum es mir anfangs eher unangenehm war, denn wenn ich mich umsah, lief die Mehrheit eher aufgebrezelt bis pikant gekleidet durch die Gegend. Vermutlich war das alles ganz normal und ich hatte mir lediglich in meinem eher klein- bis spießbürgerlich klimatisierten Studienort einen kleinen Charakterschnupfen aufgesackt.

Philipp gefiel es ganz offensichtlich. Normalerweise mag ich nicht geschoben werden, erst recht nicht, wenn ich mich mit jemandem unterhalten möchte. Ich brauche dazu Augenkontakt oder zumindest die Möglichkeit desselben. Aus dem gleichen Grund machen mich auch jene Leute wahnsinnig, die permanent schräg hinter mir laufen, wenn ich mit ihnen rede. Oder sie mit mir. Philipp aber schob mich, eher an den Schultern als an den Griffen, und an jeder Ampel wurde mir der Nacken massiert oder der Hals gestreichelt. Oder mein Körper eng an seinen gedrückt. Schade, dass ich mich nicht unauffällig umdrehen konnte. Und schade, dass es auf der Reeperbahn so nur wenige Ampeln gibt.

Wer den von Hormonen beeinflussten weiteren Verlauf des Abends lieber nicht lesen möchte, sei gewarnt und blättert an dieser Stelle besser weiter, denn aus dem Tanz-Party-Kneipenbummel wurde nicht viel. Zuerst wollte ich aufs Klo, eher vorsichtshalber, denn ich hatte mich in gewisser Erwartung eines fröhlichen Abends bewusst nicht präpariert, sondern stattdessen für alle Fälle eine trockene Hose im Rucksack. „Kannst du mal bitte mitkommen und mich festhalten, falls das da dreckig ist?“, fragte ich ihn. Der Hauptgrund war eher, ihn ein wenig heiß zu machen. Was auch auf Anhieb funktionierte: „Wie jetzt, nichts drunter?“ – „Unterwäsche wird überbewertet“, erwiderte ich betont gleichgültig.

„Ich dachte eher an etwas … du weißt schon. Plastik.“ – „Nenn ‚Windeln‘ doch einfach beim Namen. Ich fand es heute mal unerotisch.“ – „Wie bist du denn drauf?“ – „Wenn du unbedingt willst, können wir ja nebenan in dem Laden mit den Gummipuppen welche kaufen.“ – „Haben die hier sowas?“ – „Bestimmt. Stück fünf Euro und mit einem fröhlichen Entchen als Nässeindikator. Dazu Strampelanzüge von XS bis XXL mit rosa oder blauen Rüschen und farblich passender Haube sowie einem quietschenden Riesenschnuller im Set.“ – „Du kennst dich aber gut aus.“

Lustig war, dass er eigentlich auch aufs Klo wollte, aber nicht konnte, während ich daneben saß. Noch lieber hätte ich sogar mal festhalten wollen. Also sein Handy natürlich, damit es nicht ins Klo fällt… Am Ende gab es ein paar Häuser weiter ein Biermixgetränk in einer viel zu lauten Bar, bevor wir uns in Richtung Elbe aus dem Staub machten. Es war zwar arschkalt, im wahren Sinne des Wortes, und auch eher unbequem am dunklen Elbufer, aber sehr dunkel und die Sterne funkelten. Und auf dem Rückweg fühlte ich mich in der S-Bahn schon wieder so, als würden mich alle anstarren. Dieses Mal eher, weil ich etwas zerzaust aussah.