Menschen

Ich hab was gegen Flüchtlinge. Und dazu stehe ich auch.

Genau genommen nehme ich meinen Mund gerade zu voll. In Wirklichkeit hätte ich gerne noch mehr dagegen. Mehr als meinen Blog, meine Stimme, meine Gedanken und meinen Brechreiz.

Mir fehlen die richtigen Worte. Angesichts meines Blogs ist das schwer zu glauben, aber gerade ist das so. In den letzten Tagen war es so.

Es geht mir schlecht. Ich bin ratlos. In einer Wirklichkeit, in der ich keine Antwort habe auf die Umstände, die es nötig machen, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen, um einer Gefahr für ihr Leben und ihre Gesundheit zu entkommen. Und der Gefahr für ihre Familien. In jener Wirklichkeit, in der ich gerne etwas gegen diese Umstände hätte.

Als die Bilder von Demonstrationen gegen Flüchtlinge überall gezeigt wurden, als in sozialen Netzwerken plötzlich Kommentare zu lesen waren, die mit Anstand, Bildung, Eleganz, Erziehung und Kultur nicht mehr unter einen Hut zu bringen waren, war ich geschockt. Von Nächstenliebe will ich gar nicht erst anfangen. Mir geht eine junge Frau nicht mehr aus dem Kopf, die dabei gefilmt wurde, wie sie Merkel angesichts der Asylpolitik in zwei Minuten zwanzig Mal aus tiefster Kehle mit dem F-Wort beschimpfte. Danach habe ich das ausgeschaltet. Ich fand es unerträglich.

Ein paar in die Fresse ist sicherlich keine Lösung. Wollen wir doch Vorbild sein, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Mit Worten. Mit Argumenten. Mit Herz. In einem freien Land, in dem jeder Mensch seine Meinung äußern darf.

Ist „Fotze-Rufen“ eine Meinungsäußerung? Ist der Hass auf andere Menschen eine Meinung?

Nein. Weder der Hass selbst noch das, was einigen meiner Mitbürger, für die ich mich schäme, unter dem Einfluss ihres Hasses offenbar unkontrolliert aus ihrem Mund quillt, ist eine Meinung. Und so viel Grips, dass er das begreift, hat jemand, der das grundgesetzliche Recht auf freie Meinungsäußerung an dieser Stelle für sich beansprucht. Die Grundrechte, aus denen zitiert wird, regeln das Verhältnis des Staatsbürgers zum Träger der staatlichen Gewalt. Sonst nichts. Der Vorwurf der Zensur, der an dieser Stelle immer wieder willkürlich in den Raum gestellt wird, wird mutwillig vermischt mit dem strafbaren Verbot der Beleidigung anderer Menschen.

Wir sind gefragt, es besser zu machen als jene, die auf Hilfesuchen mit Hass und Gewalt antworten. Wir sind auch gefragt, Anstand, Bildung, Eleganz, Erziehung und Kultur zu vermitteln. Und Nächstenliebe. Um damit jenen Frieden zu sichern und zu transportieren, den einige von uns glauben, mit Hass und Gewalt verteidigen zu können.

Meinungsfreiheit ist genauso wie der Schutz vor Gefahr und Verfolgung ein Grundrecht, das unveräußerlich ist. Beides gilt es zu verteidigen. Genauso wie Menschen, die weder verfolgt noch gefährdet sind, kein Asyl gewährt wird, ist anderen Menschen nicht zuzubilligen, unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu beleidigen und zu Hass aufzustacheln. Diejenigen, die versuchen, mit dem Instrument der Meinungsfreiheit andere Grundrechte auszuhebeln, um ein menschenverachtendes Weltbild zu verbreiten, streben damit eine Gesellschaftsform an, in der die Meinungsfreiheit bereits abgeschafft ist.

Ich habe etwas dagegen. Gegen das, was gerade passiert und was ein einzelner nicht steuern kann. Weder derjenige, der sich nach Feierabend ehrenamtlich für die hier gestrandeten Menschen engagiert, noch derjenige, der als Nazi hohle Parolen verbreitet. Auch nicht derjenige, der in Not unseren Schutz sucht. Wir brauchen dringend politische Lösungen, die ich weder kenne noch überblicke.

Aber eins kann ich tun. Eine Kleinigkeit. Nämlich einzelne Menschen, die aus einer Not heraus um Hilfe bitten, als Menschen zu sehen. Und auch so zu benennen. Genauso wie ich keine Behinderte bin, sondern ein Mensch, gibt es vielleicht Bücklinge, Erdlinge, Fäustlinge, Feiglinge, Fingerlinge, Findlinge, Keimlinge, Kohlweißlinge, Lüstlinge, Mischlinge, Pfifferlinge, Presslinge, Rohlinge, Sämlinge, Schädlinge, Schillinge, Schmetterlinge, Setzlinge, Sperlinge, Stichlinge, Weichlinge, Widerlinge und Wüstlinge. Vielleicht auch Kümmerlinge und Perverslinge.

Aber keine Flüchtlinge. Und auch keine Ankömmlinge, Neulinge oder Eindringlinge. Sondern Menschen, die Hilfe suchen. Menschen.

6 Gedanken zu „Menschen

  1. Danke für das Statement. Ich empfinde das genauso, fühle mich hilflos, bin entsetzt, dass Besorgte-Bürger-Phrasen nun auch von Leuten aus meinem Umfeld geäußert werden, von denen ich das nie gedacht hätte.

  2. Du würdest auch dann nicht aufdringlich wirken, wenn Du zu Menschen nicht nur Moin sagen, nicken und weiterrollen würdest.

  3. Moin, moin
    der Text fängt sehr verwirrend an, endet dann aber wie von dir eigentlich zu erwarten wäre. Absicht?
    Ja, es sind Menschen, Kinder Frauen und Männer, die zu Tausenden zu uns kommen. Man redet sich aber den Mund wund, wenn man auf jede Form von Alltagsrassismus oder Rechtspopulismus reagiert. Da macht es mehr Sinn, einfach mit anzupacken. Schön, dass es da auch ganz viele gibt, die helfen oder helfen wollen.
    "Die Würde des Menschen ist unantastbar" steht im GG. Wird leider oft als die Würde der Deutschen interpretiert.
    Abgesehen davon, bekomme auch ich Grummeln im Bauch, wenn ich mir ausmale, vor welchen Aufgaben unsere Gesellschaft steht und noch stehen wird. Da habe ich auch keine Lösung, dass kann Pegida eben leider ganz leicht, aber bestimmt nicht richtig.
    Gruß Frank

  4. Puh, nach dem ersten Satz war ich erst mal geschockt. :O Aber das hat sich dann ganz schnell geändert. Du hast sowas von Recht. Ich wünschte, es würden viel mehr Leute so denken wie du (und ich und natürlich viele andere auch).

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