Sei froh und dankbar, dass du mitgenommen wirst.
Genau das nehme ich immer wieder wahr, wenn es darum geht, als Mensch mit einer Mobilitätseinschränkung mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu wollen. Auch knapp 15 Jahre nach Beginn meines Blogs hat sich nichts verändert. Ich würde sogar sagen, es ist insgesamt schwieriger geworden. Ja, ein paar Aufzüge wurden neu gemacht. Einige Stationen barrierefrei erschlossen. Aber Konsequenz kann ich – ehrlich gesagt und mit einer Träne der Enttäuschung im Auge – nicht erkennen.
„Sei froh und dankbar, dass du mitgenommen wirst.“ – Wird so ein Satz gesagt? Ja, tatsächlich. Von Menschen mit offiziellen Aufgaben. Laut und wörtlich. Manchmal auch durch die Blume, also indirekt. Aber er wird regelmäßig gesagt.
Wir sind noch lange nicht dort angekommen, wo wir 2022 sein wollten und sollten. Gerade habe ich erfahren, dass die Deutsche Bahn erneut ICE-Züge bestellt hat, die über keinen barrierefreien Einstieg verfügen. Soll heißen: Der Quatsch mit der klapprigen Hebebühne geht noch mindestens 30 Jahre so weiter. Und bevor jemand widerspricht: Die ICE-Züge, die zwei ebenerdige Eingänge haben sollen, sind eigentlich IC-Züge und fahren nur auf ausgewählten Strecken. Nein, man könnte viel weiter sein, wenn man nur wollte.
Behinderte meckern ja sowieso nur und sind undankbar. Ich auch. Ich habe ein ganz frisches Beispiel. Zum Meckern. Es ist noch keine zwei Monate alt: Helena und ich hatten einen Termin in Berlin. Um 13.00 Uhr sollten wir dort sein, und wer jetzt sagt, ihr habt doch ein Auto: Darum geht es ja gerade nicht. Es geht nicht darum, ob jemand mit dem Auto nach Berlin fahren kann (immerhin 9 Stunden hin und zurück am selben Tag). Sondern, ob es Rollstuhlfahrern möglich ist, mit der Bahn zu einem Termin nach Berlin zu kommen. Und leider ist das nicht möglich.
Weil noch immer kein Rollstuhlfahrer alleine in einen ICE kommt (oder wieder hinaus), hat die Bahn einen Service mit einem Hubkäfig eingerichtet. Nützlicher Nebeneffekt: Eben weil kein Rollstuhlfahrer alleine in den Zug kommt, steht auch keiner im Weg rum. Wer keine Reservierung hat, wird gar nicht erst eingeladen.
Ich habe vier Wochen vor dem Termin der dafür extra eingerichteten Koordinierungsstelle (Mobilitäts-Service-Zentrale) ein Online-Formular ausgefüllt. Mit dem Ergebnis, dass der Fahrtwunsch abgelehnt wurde. Sowohl für die Hin- als auch für die Rückfahrt. Bevor ich das nun 28 Mal wiederhole, habe ich mich ans Telefon geklemmt und die Hotline angerufen, 22 Minuten Musik gehört, und dann mit einer sehr freundlichen Dame gemeinsam nach Alternativen gesucht.
Weil der Überlandbus zur nächsten größeren Stadt ohnehin keine zwei Rollstuhlfahrer gleichzeitig mitnimmt und nur alle 60 Minuten fährt, müssten wir sowieso mit dem Auto zum nächsten Bahnhof fahren. Von dort war die Mitnahme nur in einem Regionalzug mit fahrzeuggebundener Einstiegshilfe möglich, weil im Abfahrtsbahnhof das Personal fehlt, das den Hubkäfig für einen Fernverkehrszug bedient. In Hamburg Hauptbahnhof (wo wir umsteigen müssten) könnten wir zudem nicht in den ICE nach Berlin einsteigen, weil der von einem Gleis abfährt, auf dem wegen Bauarbeiten der Hubkäfig nicht eingesetzt werden könne.
Also fuhren wir um 6.30 Uhr zu Hause los, standen rechtzeitig am Regionalzug, wurden problemlos mit der fahrzeuggebundenen Rampe in das Fahrrad- und Rollstuhlabteil gelassen und durften rund 75 Minuten später in Hamburg wieder aussteigen. Nun hatten wir 45 Minuten Zeit, um mit der S-Bahn zum Fernbahnhof Dammtor zu gelangen. Dort gab es jemanden, der den Hubkäfig bedienen und uns in den Berliner Zug lassen konnte. Wir fuhren also vom Hauptbahnhof mit der S-Bahn zum Bahnhof Dammtor, um dann mit dem ICE von Dammtor wieder zum Hauptbahnhof und dann weiter nach Berlin zu fahren.
Weil offenbar jemand über Nacht ein paar Kupferleitungen auf offener Strecke gestohlen hatte, wurde der ICE über Uelzen und Stendal umgeleitet. Weil die Strecke überwiegend eingleisig ist und zudem nur mit maximal 160 km/h befahren werden darf, verlängerte sich die Reisezeit um 55 Minuten. Weil kein Personal im Zug war, war das Bordrestaurant bis Berlin geschlossen. Und weil nur jeder zweite Zug fuhr (wegen der gesperrten Direktstrecke), war der Zug mehr als voll. Und natürlich: Das einzige barrierefreie WC war unbenutzbar.
So kamen wir statt um 11.22 Uhr um 12.17 Uhr in Berlin an und mussten uns beeilen. Schnell zur U-Bahn … achso: Aufzug defekt. Nicht nur versteckt, sondern auch defekt. Also mit der S-Bahn weiter. Wer sie kennt, die Aufzüge zur S-Bahn im Berliner Hauptbahnhof, weiß, dass das locker 15 Minuten dauern kann. So groß, wie sie sind, so langsam sind sie auch. An jedem Stockwerk drücken Fahrgäste für „nach unten“ und „nach oben“, was bedeutet, dass der Aufzug überall hält und in jedem der fünf Stockwerke einmal auf dem Weg nach unten und einmal auf dem Weg nach oben die Türen öffnet und schließt. Und bis er das macht, dauert auch das an jedem Haltepunkt ewig. Ja, die Kabine steht bündig und es dauert rund 10 Sekunden, bis die Tür überhaupt erstmal öffnet. Entsprechend lang sind die Schlangen von Rollstuhlfahrern, Kinderwagen, Putzkolonnen, Fahrrädern – wir mussten drei Abfahrten abwarten. Kurzum: Um 12.50 Uhr waren wir auf dem Bahnsteig des S-Bahn-Gleises.
Der nächste Umstieg sollte am Ostkreuz sein. Die dortigen Aufzüge funktionierten, auch der Anschluss passte. Bekommen haben wir den Anschluss aber nur, weil wir ganz lieb gebettelt haben, in der auf den Aufzug wartenden Schlange vorgelassen zu werden. Ich finde das peinlich, aber wenigstens kannte uns niemand. Um 13.30 Uhr erreichten wir – nach 7 Stunden Fahrt – mit 30 Minuten Verspätung unser Ziel. Und zum Glück hat derjenige, mit dem wir verabredet waren, auf uns gewartet. Vorher noch was essen oder wenigstens mal zum Klo war nicht drin. Aber besser als gleich wieder nach Hause zu müssen: Ich hatte schon damit gerechnet, dass wir vor verschlossenen Türen stehen. Und nein, man konnte dort nicht anrufen. Das war nicht vorgesehen. Und ja, es war ein offizieller Termin.
Um 15.00 Uhr traten wir die Rückfahrt an. Kamen rechtzeitig am Hauptbahnhof an und hatten noch 45 Minuten Zeit, bevor unser Zug nach Hamburg abfahren würde. Wir meldeten uns ordnungsgemäß beim Hubkäfig-Bedienpersonal an, wo wir erstmal erfuhren, dass in dem Zug wegen einer technischen Panne alle Sitzplatzreservierungen gelöscht seien und man uns ohne Reservierung nicht in den Zug einladen dürfe. Aber man würde uns anbieten, mit dem Zugbegleiter zu sprechen. Wenn der nichts dagegen hätte, würde man uns auch kurzfristig und gegen alle Regeln doch noch einladen.
Ich konnte mir ein „der wird nichts dagegen haben, denn die Plätze sind ja frei. Wenn die nicht für uns reserviert sind, hat sie auch niemand anderes reserviert“ und dachten uns: Wenigstens noch einmal aufs Klo. Auf dem Weg dorthin: „Ding Dong! Achtung, eine wichtige Durchsage: Frau Jule Stinkesocke! Frau Jule Stinkesocke! Bitte kommen Sie umgehend zum Service-Point. Für Sie liegt eine wichtige Nachricht vor.“
Wollten die Mitarbeiter der Deutschen Bahn jetzt allen Ernstes noch einmal über unsere gelöschte Reservierung diskutieren? Will ich mir das antun oder überhöre ich das? Nee, dachte ich mir, vielleicht liegt noch ein anderes Problem vor. Zug hat 300 Minuten Verspätung oder so. Also fuhren wir zurück und erfuhren, dass meine auf dem Auftrag vermerkte Handynummer falsch sei. Eigentlich war sie richtig, aber man hatte sich beim Anrufen wohl vertippt. Der Aufzug zum Gleis in Berlin gehe nicht. Es gebe einen Notfallplan, aber dafür müssten wir jetzt sofort losgehen. Also fuhren wir mit einer Bahnmitarbeiterin auf den Bahnsteig eines anderen Gleises, um dann am Ende des Bahnsteigs durch eine Brandschutztür in ein verlassenes Treppenhaus geführt zu werden, dort mit einem Evakuierungsaufzug in ein Zwischengeschoss gebracht und mit einem anderen Evakuierungsaufzug auf den Bahnsteig unseres endgültigen Gleises gebracht zu werden. Unseren Zug erreichten wir gerade so eben, unsere Tür nur durch einen Sprint, denn niemand wusste, dass der Zug falsch herum (also rückwärts) gereiht einfuhr.
Inzwischen war die Strecke, auf der jemand Kupferleitungen gestohlen hatte, wieder befahrbar. Und so brauchten wir nur die üblichen 106 Minuten von Berlin nach Hamburg. Aber: Auch dieser Zug sollte in Hamburg Hauptbahnhof auf einem Gleis angekommen, an dessen Bahnsteig der Aufzug defekt sei. Also müssten wir wieder bis Dammtor weiterfahren, dort herausgehoben werden, mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof zurück – um dort zu erfahren, dass der Aufzug, wegen dessen angeblichen Defekts wir bis Dammtor weitergeschickt wurden, einwandfrei funktionierte. Argh! Resilienz, wo bist du?
Von Hamburg fuhren wir dann ohne weitere Zwischenfälle mit einem Nahverkehrszug weiter zu jenem Bahnhof, an dem das Auto stand. Um 19.50 Uhr saßen wir wieder im Auto. Nach rund 14 Stunden waren wir wieder zu Hause.
Aber wir waren froh und dankbar, dass wir mitgenommen wurden. Oder so ähnlich.
24 Gedanken zu „Froh und dankbar“
Wann landet der Umgang staatlicher und halbstaatlicher Stellen mit Menschen mit Behinderung endlich mal vor dem EGMR?
Ich bin echt froh und dankbar – für mein Privileg, laufen zu können…
… mir fällt dazu echt nichts mehr ein.
Oh weia.
Das ist einfach nur traurig.
Und erschreckend.
Vieles im Alltag bemerkt man als gesunder, mobiler Mensch ja gar nicht.
Seit wenigen Wochen schiebe ich meine Mutter durch die Gegend – und bemerke seit dem so viele Dinge, die dringend zu verbessern wären. Von Bordsteinkanten, über Kopfsteinpflaster und ach, Du kennst es ja selber. Dabei waren wir grad mal in einem eher kleinen Radius unterwegs…
Die Funktionsfähigkeit von Aufzügen an allen Bahnhöfen könnte man ja in einer Datenbank speichern und bei der Routenplanung mit Rollstuhl zur Verfügung stellen, so wie man allen Kunden den Zugfahrplan auch zur Verfügung stellt. Aber wieso sollte man, es funktioniert ja auch so super…
Ja, stimmt, alles nicht ganz ohne und auch nicht ohne Ärger – aber mit fehlt ein bisschen auch der Hinweis, dass doch auch vieles geklappt hat und viele Leute trotz aller vorhandenen technischen Schwierigkeiten sich Gedanken gemacht haben, wie sie Euch an das Gleis hinbekommen. Ein Blick auf das, was trotz allem irgendwie gut und unterstützend war, hebt die Stimmung ungemein. Und das sage ich als Jemand, den „das Schicksal“ schon gerne etwas besser behandeln könnte 😉
Ich bin einfach nur schockiert und frage mich, wieso das im Jahre 2022 von der DB noch so gelebt werden kann. Fehlt es an der Einstellung? Ist es eine Frage des Wollens oder fehlt hier eine Lobby? Das kann doch nicht so weitergehen. Deutschland will so inclusive sein, aber letztendlich scheitert es überall. Ich bin wirklich sprachlos, entsetzt, wütend und traurig zugleich.
Oje. Und dann sei zusätzlich noch mal schüchtern, introvertiert etc und hab ein Problem damit, mit fremden Menschen zu sprechen…
Unfassbar 🥹
Ich habe in den 70iger und 80iger Jahren in einem Wohnheim für Behinderte gearbeitet und von daher sind mir die Probleme bekannt. Wenn man dann anschließend in den Medien verfolgt was für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen so alles getan und geplant wurde, denkt man: Inzwischen ist doch alles viel besser geworden!
Oh mein Gott! Wie kann man sich doch irren bzw. von der Politik und den Medien Sand in die Augen gestreut bekommen. Wenn ich deinen Bericht lese bekomme ich den Eindruck dass alle „Verbesserungen“ nur Makulatur sind. Sehr traurig.
Eine Bahnmitarbeiterin hat mal in meinem Beisein zu einem Rollstuhlfahrer gesagt: „Sie genießen doch schon den Vorteil, in öffentlichen Verkehrsmitteln nichts bezahlen zu müssen. Da können Sie auch mal ein bisschen Auwand auf sich nehmen.“
Das kann doch kein Zufall sein, dass über so viele Jahre keine Verbesserung eintritt. Das muss doch gewollt sein, dass mobilitätseingeschränkte Menschen derartige Strapazen auf sich nehmen und über sich ergehen lassen müssen. Die Frage lautet nur: aus welchem Grund ist das gewollt? Um weniger Arbeit und Aufwand zu haben? Weil man sich sagt: „Ach, von unseren Fahrgästen sind sooo wenige auf zusätzliche Unterstützung angewiesen, die vernachlässigen wir mal“?
Die Frage lautet also: Wenn nicht gewollt ist, dass es besser wird, wie schafft man es trotzdem, dass es besser wird? Gibt es auf die Frage überhaupt eine Antwort? Knn man jahrzehntelange Verbohrtheit erfolgreich bekämpfen und ausmerzen? Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hat ja jemand von euch Lösungsansätze.
Ich bin „nur“ gehbehindert und dreibeinig unterwegs. Allerdings habe ich mit der Deutschen Bahn so viele schlechte Erfahrungen gemacht, die mich meine jetzige Mobilität hätten kosten können, dass ich sie gar nicht mehr nutze. Mir gefällt das aus mehreren Gründen nicht, aber letzten Endes will ich nicht wegen des Unwillens der DB, für barrierefreie Verbindungen zu sorgen, meine Gesundheit gefährden. Ich wünsche dir alles Gute und viele reibungslose Bahnfahrten.
Viele Grüße
Ina
Das sind einige genau der Gründe warum Ich selbst als Fussgänger die Bahn meide. Und in der Zeit in der es das 9 € Ticket gab wär Ich nicht mal freiwillig in so einen Zug eingestiegen, selbst wenn man mir Geld dafür bezahlt hätte. Dann doch lieber mit dem Auto…
Oh mein Gott, diese Schilderungen machen mich so wütend. Ich verstehe nicht, warum man nicht endlich mal einen Schritt Richtung Barrierefreiheit geht. Mit dem Fahrrad Bahn fahren ist schon ekelhaft, aber der Umgang mit Rollstuhlfahrenden ist eine Zumutung. Niemand ohne Rollstuhl würde so mit sich umgehen lassen… Nicht mal das Personal und selbst tun sie es (natürlich nicht alle). Ich finde das so schrecklich. Die Bahn muss richtig aufrüsten, barrierefreie Züge, Bahnhöfe und geschultes Personal. Utopische Wunschdenken, aber jeder sollte fahren können, wann er oder sie möchte. Ohne betteln und sprinten. Ohne etliche Stunden vorher loszufahren und Umwege zu nehmen.
Es tut mir so leid, dass es so umständlich ist.
Wie lange dauert es eigentlich, bis man von der Koordinierungsstelle Antwort bekommt?
Hatte mal mit 5 Minuten Abstand zwei Fahrpreisanfragen für unterschiedliche Verbindungen mit Nutzung der Westbahn nach Wien gestellt. Antworten kamen nach 6 und 8 Tagen, wobei die Angebote dann jeweils nur 24h gültig sind.
Auf meine Antwort an den Bahnbonusservice, wieso meine Punkte sofort nach Erhalt verfallen, statt nach 3 Jahren, musste ich über 1 Monat warten und bin immer noch nicht schlauer.
Und dann nach die ÖPNV Streiks. Innerhalb von 2 Wochen war ich in Mailand und 2x in Baden-Württemberg betroffen (erst SWEG, dann HZL). Einmal 6h für eine Strecke, die mit dem Auto in 1h machbar wäre (60km).
Und noch trauriger ist, dass das eigentlich unter „hat ganz gut funktioniert“ läuft. :/
Das ist einfach unfassbar. Jedes Mal, wenn ich sowas lese, bleibt mir der Mund offen stehen. Das kann doch nicht so schwer sein, dass die Deutsche Bahn endlich mal rollstuhlgerecht wird…
Toll, dass es mit dem Blog weiter geht. Und bewundernswert. Hatte fast schon die Hoffnung verloren, verstehe aber auch, dass die Zeit bei dem ganzen beruflichen und privaten Stress knapp ist. Alles Gute und viel Erfolg weiterhin!
Vor kurzem wurde eine Studie veröffentlicht, dass das 9€-Ticket finanziell schlechter gestellten Menschen die soziale Teilhabe erleichtert hat. Natürlich ist das jedem klar, der nur fünf Minuten darüber nachdenkt, aber eine Studie, die das „Gefühl“ mit Fakten untermauert, hilft in der Diskussion.
Hier geht es nicht um die finanziellen Hürden sondern um physische Barrieren, die einem Teil unserer Gesellschaft eine Teilhabe erschwert. Und es geht nicht „nur“ um Rollstuhlfahrer. Eine Bekannte erzählte mir kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes, dass ihr jetzt erst die vielen Barrieren für Menschen mit Behinderungen auffallen, weil sie nicht ohne weiteres mit dem Kinderwagen überall hinkommt. Mit dem Kinderwagen ist man natürlich trotzdem flexibler, augenöffnend war es trotzdem. Aber auch alte Menschen, kleinere Kinder, Personen mit kurzzeitigen Verletzungen oder Krankheiten – alle würden von einer barrierearmen (von „-frei“ will ich ja gar nicht träumen) Umgebung profitieren.
Was können wir als (Noch-)Nichtbetroffene tun um den Kampf zu unterstützen? Ich kann das Thema im Bekanntenkreis ansprechen und Mitmenschen sensibilisieren – das wirkt im Moment aber wenig hilfreich.
Ich finde das alles so unsagbar peinlich, was Bahn und Gesellschaft da so veranstalten, das glaubt man gar nicht. (Doch, ich glaube es schon, aber meine Güte, so was im 21. Jahrhundert!) Schön, dass ihr angekommen seid, traurig, dass das immer noch der Rede wert ist und spontane Reisen unmöglich sind.
Meine Tochter ist ja vor ein paar Jahren mal mit einigen anderen Schülern (alle mit Förderbedarf kmE, ein großer Teil im Rolli) zum Wintersport (Monoski speziell für Körperbehinderte) gefahren – mit der Bahn von HH nach Bayern. Allein die Aufgabe, die ca. 10 Rollstuhlfahrer (plus ein paar „Läufer“) alle in einen Zug zu bekommen … Es hat geklappt, aber spaßig ist das nicht.
Es ist schon krass, wie in einem theoretisch modernen Land wie Deutschland solche einfachen Dinge nicht selbstverständlich und möglich sind.
Erstaunlich dabei, dass Fliegen dann quasi reibungslos klappt. Aber dahinter stecken dann ja auch internationale Regualrien und Vertragsstrafen wenn ein Flughafen beim Mobilitätsservice patzt.
Tut mir leid, dass es so schwierig ist. Danke für den Bericht!
Die Berliner Aufzüge sind wirklich eine Qual. Ich verstehe niemanden, der die ohne Not freiwillig nimmt (schon gesehen).
Teilweise habe ich den Kinderwagen dann lieber die Treppen getragen.
Bin sehr froh nicht darauf angewiesen zu sein.
DB is immer Dreck, ob mit oder ohne Behinderung eine Partie russisch Roulette. Fahre beruflich ein paar Mal im Jahr zwischen Hamburg und Köln. Noch nie ohne mindestens eine Stunde Verspätung pro Richtung abgelaufen. Und die letzte Fahrt nach Österreich hatte einfach mal 90 Minuten Startverspätung – unlustig, wenn man mit zwei kleinen Kindern wartet. In die andere Richtung, also im Verantwortungsbereich der ÖBB, lief es dann absolut sauber und glatt – meine einzige Bahnfahr in fünf Jahren ohne Verspätungen. Die DB kriegt es einfach nicht hin. Furchtbarer Verein.
Und der Hamburger Hauptbahnhof ist eh eine marode Dauerbaustelle. Aber hey, alles in Richtung Profitabilität trimmen, damit das Ganze irgendwann privatisiert werden kann, ist sicher total die tolle Idee…
Ach ja. und gerade war in den ÖR wieder „Tag der Menschen mit Beeinträchtigung“ oder so (wo man sich lieber mit sorgenschwerer Stimme drüber auslies, ob man „schwerbehindert“ noch sagen darf …)
Kurz: Behinderte haben Betreuer, sind unselbständig und in Einrichtungen untergebracht. Fertig.
Das ist das Bild der ÖR — und ganz sicher auch das aller möglichen anderen.
So Gesocks, dass eigenständig unterwegs ist und selbständig sein und bleiben will, _kann_ einfach nicht behindert sein! Sonst gäb’s ja einen normalen Menschen, der die armen Krüppel managt …
Diese Aussage mit dem „Sei dankbar …“ finde ich unglaublich unpassend. Und wir sind noch lange nicht so weit, wie wir sein könnten.
Und die Bahn – oder generell ÖPNV – ist echt so ein Ding. Wir sind im Jahre 2022 und man sollte meinen, ausreichend digitalisiert. Und was da so täglich abläuft, verärgert mich als „laufenden“ Passagier ja schon tagtäglich ohne Ende. Aber bei dir erreicht das ja noch andere Dimensionen und Auswirkungen. Traurig, absolut.
Sehr… minutiös dargelegt.
Ich will von den vielen Denkanregungen nur eine rausgreifen.
„… und wer jetzt sagt, ihr habt doch ein Auto: Darum geht es ja gerade nicht. Es geht nicht darum, ob jemand mit dem Auto nach Berlin fahren kann (immerhin 9 Stunden hin und zurück am selben Tag). Sondern, ob es Rollstuhlfahrern möglich ist, mit der Bahn zu einem Termin nach Berlin zu kommen. Und leider ist das nicht möglich.“
Es ist toll, dass Du nicht einfach sagst, „Wir haben die Kohle uns ein Auto oder notfalls sogar ein Taxi zu leisten und machen das jetzt so“ sondern immer auch an die denkst, die darauf angewiesen sind, dass der ÖPNV so funktioniert, wie in der Werbebroschüre (ganz abgesehen vom Klimaschutzgedanken).
Insbesondere glauben unsere Gerichte dieser Werbung anscheinend unbesehen. Behindertengerechte Autos sind reiner Luxus, Bundessozialgericht B 3 KR 9/06 R vom 19.04.2007
„Soweit größere Entfernungen wegen der Besonderheiten des Wohnorts eines Versicherten oder aufgrund der Auswahlfreiheit bei der Arzt- bzw Therapeutenwahl zurückzulegen sind, begründet dies keinen Anspruch auf einen behinderungsgerechten Umbau eines PKW als Hilfsmittel.
…
Das Autofahren bzw der Besitz eines eigenen Pkw zählen zwar heute zum normalen Lebensstandard und sind Ausdruck des inzwischen erlangten allgemeinen Wohlstandsniveaus, doch gehört es nicht zu den Aufgaben der GKV, generell die Benutzung eines Pkw durch eine behinderungsgerechte Umrüstung zu ermöglichen.“
Es ist denen auch völlig egal, ob Du wirklich weiter weg musst, es wird einfach abstrakt entschieden, dass der Nahbereich zu reichen hat:
„Letztlich kommt es hierauf aber nicht an, denn es sind nicht die konkreten Wohn- und Lebensverhältnisse eines einzelnen Versicherten entscheidend, sondern die Tatsache, dass in einem städtischen Nahbereich grundsätzlich Ärzte, Apotheken und Therapeuten vorhanden und erreichbar sind. Zwar stellt § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V auf die Verhältnisse im Einzelfall ab, jedoch gilt dies ausdrücklich nur für die Beurteilung der Erforderlichkeit der Hilfsmittelversorgung. Ein Ausgleich für die individuell gestalteten Wohn- und Lebensverhältnisse eines Versicherten sowie für die Folgen der Ausübung des Rechts auf freie Arzt- und Therapeutenwahl wird von der GKV hingegen nicht geschuldet.
d) Ein Anspruch auf die begehrte Hilfsmittelversorgung besteht auch nicht im Hinblick auf die monatliche Teilnahme des Klägers an einer ca 10 km entfernt tagenden Selbsthilfegruppe. Nach § 20 Abs 4 Satz 1 SGB V soll die GKV zwar Selbsthilfegruppen, -organisationen und -kontaktstellen fördern, die sich die Prävention oder die Rehabilitation von Versicherten zum Ziel gesetzt haben. Die Teilnahme hieran mag wünschenswert sein, sie muss jedoch nicht von der Beklagten zusätzlich durch Gewährung eines bestimmten Hilfsmittels gefördert werden, weil hierdurch nicht die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder gemildert werden und damit kein Grundbedürfnis betroffen ist. Durch den Besuch der Selbsthilfegruppe kann sich der Kläger im Kreise Gleichbetroffener mit den Folgen und Auswirkungen seiner Behinderung in den verschiedenen Lebensbereichen auseinandersetzen und Erfahrungen austauschen; es handelt sich aber nicht um einen Ausgleich der direkten oder indirekten Folgen der Behinderung (so schon BSG SozR 2200 § 182b Nr 12 mwN).“
Lasst uns froho und dankbar sein, dass wir in einem Sozialstaat leben, der nur individuell im Einzelfall versagt aber grundsätzlich toll ist.
Ich bin davon überzeugt, dass die WCs grundsätzlich benutzbar sind, der Aufzug grundsätzlich nicht defekt ist etc. und überhaupt alles grundsätzlich einwandfrei funktioniert. Zur vollen richterlichen Überzeugung, ist für alles grundsätzlich gesorgt. Hiermit so festgestellt. Ihr Behinderten spielt nur immer eure Behindertenkarte aus, um euch ’ne Extrawurst zu sichern. An den armen Steuerzahler, der euch das finanzieren soll, denkt ihr nie. Wusstest Du, dass Shell aufgrund der Verdopplung ihres Gewinns von 20 auf 40 Milliarden nach Steuern jetzt nochmal extra 134 Millionen an das UK und 520 Millionen an die EU abdrücken musste. Das sind Schicksale!