Elternschule

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Ich bin total verstört. Ich beginne jetzt zum vierten Mal diesen Beitrag. Ich habe das Bedürfnis, mir ein eigenes Bild zu machen, bevor ich mir ein Urteil bilde. Und ich wollte ein eigenes Urteil, nachdem ich -nahezu unfreiwillig- so viel Kritik über den Film „Elternschule“ gelesen habe. Der Film ist noch für rund eine Woche in der ARD-Mediathek aufrufbar.

Ich muss sagen, dass ich den Film am Ende trotzdem nicht gesehen habe. Ich habe drei, vier Mal abgebrochen und wieder begonnen, nach insgesamt zehn Minuten aber das Browserfenster geschlossen. Und mich endgültig entschieden: Das will ich nicht sehen. Nennt mich sensibel, nennt mich unerfahren – ich fühle mich überfordert. Mit dem, was da abgeht.

Und damit meine ich nicht die kleinen Kröten, die da ihre Grenzen austesten. Und ja, den Ansatz, Grenzen zu setzen, teile ich. Nicht nur gegenüber Kindern, sondern gegenüber allen Menschen muss ich Grenzen setzen. Das ist alltäglich. Ich möchte gar nicht weiter auf die dort geschilderten Probleme eingehen. Das kann ich nicht. Mir fehlt die fachliche Kompetenz einerseits, andererseits habe ich den Film ja auch überwiegend nicht gesehen. Sondern nur einzelne Ausschnitte.

Was ich aber gesehen habe, hat mir gereicht. Und ich möchte nur eine Sache aufgreifen: Körperliche Untersuchung schreiender Kinder. Ich glaube, Tausend waren es noch nicht. Aber über 500 Kinder hatten schon mit mir zu tun in den letzten Jahren. Ja, es waren viele dazwischen, die geweint haben, geschrien, gekreischt, gebrüllt. Die Schmerzen hatten, überfordert waren, die ausgelaugt waren, hohes Fieber hatten.

Ich stehe, im Gegensatz zu der im Film gezeigten Aufnahme-Untersuchung, unter großem Zeitdruck. Immer. Nicht, weil mein Arbeitgeber mit der Stoppuhr hinter mir steht, sondern weil an vielen anderen Stellen ebenfalls Patienten auf mich warten und es viel zu wenig ärztliches Personal gibt. Ich kann mich mit einem Patienten, der nicht vital bedroht ist, keine Viertelstunde aufhalten. Die Situation ist zudem bescheuert, weil mein Gegenüber oft einfach Angst hat. Neben der akuten Symptomatik. Und oft verzahnen und potenzieren sich Zeitdruck, Angst und akutes Problem auch noch.

Es gibt Situationen, da ist das körperliche Unwohlsein so groß, dass ich ein schreiendes Kind untersuchen und behandeln muss. Es ist noch keine Woche her, da war ein drei Jahre altes Kleinkind mit einem Wespenstich etwa zwei Zentimeter unterhalb des Auges bei mir in der Aufnahme. Das Kind reagierte zudem allergisch auf das Wespengift-Protein. Nicht dramatisch, aber schon am ganzen Körper sichtbar. Das ist ein Notfall, da kann ich dann auch nicht erst lange irgendwelche Spielchen veranstalten, sondern muss handeln. Auch wenn es noch so laut brüllt und nicht versteht, warum gerade alles so ätzend ist.

Aber: Wenn ich beim Kind eine orientierende Aufnahme-Untersuchung machen muss, dann habe ich noch nie, wirklich noch nie, ein schreiendes Kind untersucht. Das fängt schon damit an, wie ich in den Raum hinein komme. Wenn ich draußen schon höre, dass das Kind überfordert ist, poltere ich da nicht unberechenbar rein, unterschreite sofort körperliche Distanzen, rede laut und reiße dabei noch ein paar dominante und markige Sprüche, sondern dann bleibe ich erstmal vor der Tür stehen. Schiebe sie dreißig Zentimeter auf und schaue erstmal vorsichtig hinein. Nehme Blickkontakt auf. Lächle. Winke. Nehme den großen Ernst aus der Situation. Oft reicht es schon, die Aufmerksamkeit auf irgendwas anderes zu lenken. Die meisten Kinder sind neugierig. Und wenn wir uns erstmal beschnuppern, bevor ich dem Kind mit der Lampe ins Ohr leuchte, gewinne ich Vertrauen und anschließend halten mir über 90% der Kinder ihr Ohr freiwillig hin. Die Minute, die ich dafür investiere, hole ich hinterher drei Mal wieder raus.

Kürzlich war ein fünfjähriges Mädchen mit mehreren fiesen Splittern im Fuß da. Ich sag nur: Auf eine nasse Holzpalette am Strand gesprungen. Es blutete und es tat wirklich doll weh. Ich rollte nach dem Hinweis, das Mädchen lasse sich am Fuß nicht anfassen, nicht mal von der Mutter, in das Zimmer. Es brüllte und kreischte bei Mama auf dem Arm. Ich will hier keine tollen Geschichten erzählen, aber nach zwanzig Minuten waren alle sechs Splitter draußen. Und das Kind saß -zwar extrem skeptisch, aber dennoch aus eigener Entscheidung- auf der Untersuchungsbank und hat mir den Fuß unter meine Nase gehalten. Der alles entscheidende Deal nach einer vorsichtigen ersten Inspektion (Deal: Meine Hände bleiben beim Anschauen auf meinem Schoß, ich gucke nur mit den Augen und fass dich nicht an) war: „Wenn du möchtest, dass ich aufhöre, rufst du Stopp. Dann höre ich sofort auf. Versprochen. Du bist die Chefin.“ – Sowas ist kein Hexenwerk. Das läuft über Vertrauen.

Wenn ich in dem Film, den ich nur für wenige Minuten gesehen habe, die Aufnahmeuntersuchung miterlebe, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Ein Kind so distanziert zu behandeln, käme mir nie in den Sinn. So etwas will ich nicht sehen. Das widert mich an.

Mecha-Nick

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Kennt jemand Nick? Also den Tech-Nick? „Bei Technik-Fragen Tech-Nick fragen“, sollte allen Werbegeschädigten doch ein Begriff sein. Davon abgesehen, dass ich den Tech-Nick Antoine Monot in einer Episoden-Hauptrolle im letzten ARD-Tatort ganz gut fand (die Episode selbst war mir ein wenig zu brutal und es gab mal wieder zu viele Leichen), schien der Besitzer einer Gaststätte in Hamburg jedenfalls zumindest in seinen Werbenamen verliebt gewesen zu sein, als er die Klotür beklebte.

Zum Glück hat er nicht Micha-Nick geschrieben. Während Marie und ich vor der Tür warteten, überlegten wir, wen wir wohl erhalten würden, wenn wir den Schalter benutzen. Wer wohl Mechanick sein könnte. Und vor allem, was er tut, wenn man den Schalter drückt. Kommt er nur? Darf man ihn mitnehmen? Singt er was vor? Oder ist er für Schweinkram zu haben? Vielleicht sollte ich nicht zu viel darüber nachdenken.

Service und andere Krankheiten

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Dokumentationen im Fernsehen gucke ich eher selten. Das liegt hauptsächlich an meinen Fernsehgewohnheiten: Eher sehr selten, und wenn, dann meistens abends, vom Bett aus, kurz vor dem Einschlafen. da möchte ich dann meistens mich nicht mehr großartig konzentrieren und über -meistens verdächtig mundgerecht präsentierte- Fakten und Beobachtungen nachdenken.

Kürzlich blieb ich aber dennoch an einer Dokumentation über eine Verlagerung der Umsätze vom Einzel- zum Versandhandel hängen. Immer mehr Leute bestellen online und lassen sich die Ware nach Hause liefern. Verschiedene Gründe und Motivationen wurden genannt, und ich hatte den Eindruck, die Reportage war bei der Bewertung dieser Gründe und Motivationen nicht neutral, sondern pro Versandhandel. Nicht nur, weil auf den Aspekt des persönlichen Service vor Ort (im Einzelhandel) überhaupt nicht eingegangen wurde. Und der ist es überwiegend, der mich hin und wieder dazu veranlasst, trotz etwas höherer Preise vor Ort zu kaufen.

Was mich beim Versandhandel am meisten stört, ist das Drama, das entsteht, wenn niemand zu Hause ist, um das Paket anzunehmen. Eine Möglichkeit ist, dass Nachbarn das Paket annehmen. Was aber, wenn sie ein Paket annehmen, bei dem ich die Annahme verweigert hätte? Beispielsweise, weil es schon aus dem Karton tropft, selbiger in Fetzen hängt oder ähnliches. Transportschaden? Pech gehabt, weil nicht sofort reklamiert. Und was ist, wenn die Firma nicht liefern kann? Dann bin ich im Zweifelsfall erstmal wochenlang an die Bestellung gebunden. Natürlich könnte ich es inzwischen woanders kaufen bzw. bestellen und dann versuchen, von meinem Rückgaberecht Gebrauch zu machen. Was aber auch wieder umständlich wird, wenn ein Nachbar das (zweite) Paket annimmt.

Kurzum: Am liebsten mag ich es so: Einen Artikel aussuchen, einen freundlichen Verkäufer anflirten, damit er das nicht nur etwas billiger macht, sondern mir den Karton auch gegen ein kleines Trinkgeld ins Auto lädt, sofern das Ding größer ist als mein Schoß. Zu Hause einfach auspacken, einschalten, fertig.

So war ich in der letzten Woche unterwegs und suchte: Ein DVI-Kabel, ein analoges Antennenkabel und eine Packung CD-Rohlinge. Marie brauchte für ihre Oma eine neue Mikrowelle (nachdem bei dem 20 Jahre alten Gerät angeblich Funken aus dem Gerät sprühten) und Maria braucht einen neuen Kühlschrank und hätte gerne in ihrer Wohnküche, die zum Zimmer gehört, einen eigenen Geschirrspüler. Sie hat nun über ein halbes Jahr den Anteil, den sie von ihrem Arbeitslohn behalten darf, zusammengespart und wollte, wenn sie den Kühlschrank vor Ort findet, den Geschirrspüler gleich mitbestellen und zusammen anliefern und anschließen lassen.

Insgesamt kamen also drei süße Mädels in den Laden gerollt und wollten mehrere hundert Euro loswerden. Im ersten Laden (drei standen zur Auswahl, alle drei gehören zu großen Ketten mit Filialen in ganz Deutschland, zwei von ihnen haben in den großen Tageszeitungen oft seitenweise Anzeigen oder dicke Beilagen) rollten wir zuerst zu den Mikrowellen. Zwanzig Mal stand das gleiche Modell in den Regalen, von einer Noname-Firma für 49 Euro. Am Ende des Regals gab es dann noch drei andere Modelle. Eins davon entsprach den Kriterien, die Maries Oma vorgegeben hat: Drehknopf, einfach zu bedienen, kein Schnickschnack, leicht zu reinigen, Markenprodukt, bis 100 Euro. „Ja, da haben wir leider nur noch den Aussteller, der Hersteller will seit Wochen nicht liefern, die nächste Ware kommt erst am 21. April.“ – „Bekommen wir den Aussteller denn etwas günstiger? Immerhin haben daran ja schon etliche Leute rumgefummelt und zerkratzt ist er auch schon etwas.“ – „Auf 95 kann ich noch runtergehen, aber mehr nicht, das ist schon ein günstiges Angebot. Ja und Geschirrspüler und Kühlschränke liefern wir nur bis zur Bordsteinkante.“ – Und tschüss.

Laden zwei. Maria sagte: „Vielleicht sollte ich mal meine Jacke aufmachen, damit man meine Rundungen etwas besser sieht.“ – Allgemeines Gelächter. Ein junger Verkäufer, in meinem Alter, wollte wissen, ob Marie einen Geschirrspüler überhaupt selbst bedienen könnte. Nachdem wir das geklärt hatten: „Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie pro Artikel nicht die angeschlagenen 20 Euro, sondern 70 Euro Liefergebühren zahlen. Dafür nehmen wir das Altgerät aber kostenlos zur Entsorgung mit.“ – „Wie jetzt? Warum 70 Euro, hier steht 20.“ – „Wegen der Entfernung.“ – „Wir wohnen keine fünf Minuten Autofahrt von dieser Filiale weg. Was meinen Sie mit Entfernung?“ – „Ja, ähm, wir liefern über die Spedition [XY] aus [einer anderen Stadt]. Und für die zählt als Ausgangspunkt immer der Sitz unserer Hauptfiliale in Hamburg. Und dieses hier ist nur eine Zweigstelle. Und…“ – „Sie brauchen gar nicht weiterreden, schönen Tag noch.“

Laden drei. Marie zu Maria: „Pack deine Titten wieder ein. Das führt nur dazu, dass die denken, wir sind völlig beknackt.“ – Nachdem wir 15 Minuten herumstanden und mindestens sechs Verkäufer eilig an uns vorbei rannten, rollte ich zur Information, mit der Frage, ob uns vielleicht jemand bei den Mikrowellen bedienen könnte. Die Dame brachte mich sehr freundlich zu einem Verkäufer, der allerdings noch drei Kunden vor uns hatte. Nach weiteren 10 Minuten waren wir dran. „Für diese Mikrowelle hier“, sagte Marie und zeigte auf die einzige, die einen Drehknopf hatte und zudem das gleiche Modell war wie in dem ersten Elektronikladen, „interessiere ich mich. Mich wundert aber der Preis: 149 Euro. Drüben, bei [XY] gibt es die für 99 Euro. Ist das nicht ein wenig viel Unterschied?“ – „Natürlich bekommen Sie die bei uns auch für 99 Euro, wenn es die bei [XY] tatsächlich für 99 Euro gibt. Steht ja auch vorne an unserer Servicetafel. Ich rufe da mal eben an.“

Der Verkäufer holte ein Notizbuch aus der einen Tasche, nahm sein schnurloses Telefon aus der anderen, suchte eine Nummer raus, wählte und sprach: „Hallo Jürgen, die Mikrowelle 12345ABC von XY, hast du die da? Und was kostet sie bei dir? 129 Euro, okay. Danke! Ja, leg dich wieder hin!“ – Und dann zu uns: „Also, sie kostet da nicht 99 Euro, sondern 129, kann es sein, dass Sie sich auf dem Preisschild verguckt haben? 129 erscheint mir auch plausibler.“ – Marie antwortete: „Nein, wir haben mit ihm ja noch gesprochen, er wollte uns sogar noch bis auf 95 Euro Nachlass geben. Also hat er sich wohl eben vertan.“ – „Ich habe ihm ja die korrekte Bezeichnung mit Nummer durchgegeben, aber machen Sie sich nichts draus, das versuchen alle Kunden, die den Preis drücken wollen. Ich bin Ihnen nicht böse deswegen.“ – „Wie bitte?“, fragte Marie.

Ich hatte inzwischen auf der Webseite des anderen Unternehmens gesucht und die Mikrowelle dort mit 99 Euro gefunden. Ich konfrontierte den Verkäufer damit. Antwort: „Tja, dann hat mir der Verkäufer wohl einen falschen Preis genannt. Aber das habe ich schon öfter erlebt, immerhin will er Sie ja auch nicht verlieren als Kunden.“ – „Wieso? Wir sind doch schon raus aus dem Laden.“ – „Ja, aber er denkt vielleicht, Sie kommen zurück. Dann entschuldigt er sich, das sei im Stress passiert, er hatte gerade noch drei Kunden an der Backe, aber jetzt mache er Ihnen einen Superpreis und sie können das Ding gleich bei ihm mitnehmen.“

Das konnte ja nicht passen, denn er hatte die Mikrowelle ja gar nicht da. Was wir unserem jetzigen Verkäufer natürlich nicht erzählt haben. Er sagte: „Also 124 Euro könnte ich Ihnen als Angebot machen, aber das ist das letzte Wort.“ – Nein. Schönen Tag noch. Ein vertrauensvolles Verhältnis lässt sich so nicht aufbauen. Ich guckte nach dem analogen Antennenkabel: 49 Euro für 15 Meter. 15 Meter brauche ich nicht, aber 5 Meter war nicht da und alles darunter wäre zu kurz. Ansonsten gab es nur noch welche, bei denen der Anschluss nicht passte. Eine Verkäuferin, die gerade daneben stand, meinte: „Da sind die Stecker vergoldet, deswegen ist das so teuer.“ – Ja nee, ist klar. Und tschüss.

„Okay. Den halben Nachmittag unterwegs gewesen, nichts erreicht. Lasst uns auf dem Weg nach Hause noch einmal in das erste Einkaufscenter gehen, ein Eis essen und auf dem Rückweg den Jürgen ansprechen, warum er da für einen Quatsch am Telefon erzählt. Ich will jetzt wissen, ob er wirklich drei Kunden an der Backe hatte.“ – Ergebnis: Das Eis schmeckte gut und Jürgen sagte: „Hier hat nie einer angerufen.“ – Ohne Worte.

Also bestellen wir nun doch per Internet. Spaßeshalber habe ich das vergoldete Antennenkabel mal bei einer Preisvergleichsseite eingegeben: Bei 16,90 Euro inklusive Versand geht es los. Ja, sorry, dann darf sich wirklich niemand wundern, wenn die Leute zunehmend im Versandhandel bestellen. Das ist kein Service-Defizit, das ist Abzocke.

Als mangelhaften Service würde ich eher beschreiben, wenn ich Ende Januar ein millionenfach verkauftes Auto bekommen soll, die Auslieferung sich aber inzwischen bis Mitte April verzögert. Es ist noch nicht mal bei der Stelle (im Werk) angekommen, die den behindertengerechten Umbau vornehmen soll. Und wer jetzt denkt, dass das Autohaus mal selbständig bei mir anruft und mich auf dem Laufenden hält, täuscht sich. Wenn ich nicht immer wieder nachfrage, bekomme ich keine Infos. Und oft ist der Verkäufer gerade nicht zu sprechen, hat sein Telefon auf die Zentrale umgestellt. Und zurückrufen? Fehlanzeige. „Hoffentlich gewährt man dir anständigen Rabatt“, sagte kürzlich ein Kumpel von mir. Ja, tun sie, aber wegen meiner Behinderung. Und was nützt mir Rabatt? Ich möchte das Auto. Mein letztes habe ich storniert, nachdem der Händler trotz zweier großzügiger Nachfristen innerhalb eines Jahres nach Liefertermin kein fertiges Auto präsentieren konnte. Ein Drama.

Und um diesem Meckerpost noch einen draufzusetzen: Abends haben wir uns eine Pizza liefern lassen. Ich mag dieses „Pizza aus dem Karton fressen“ eher nicht so gerne, aber wenn etliche andere Leute aus der WG bestellen, bestelle ich mir, vielleicht einmal pro Quartal, auch so einen Fraß. Möglichst mit viel Gemüse. Ich habe mal ein Foto gemacht von einer Pizza mit Salami und Schinken, exakt so, wie sie sich meinem Mitbewohner beim ersten Öffnen des Kartons präsentiert hat. Lauwarm und …

… jeder Hund würde sich sofort abwenden. „Haben die mit dem Karton Frisbee gespielt?“, war die erste Frage des Mitbewohners, der sie bestellt hatte. Die anderen waren nicht wärmer und sahen nicht besser aus. In diesem Sinne: Prost Mahlzeit!

Stubbe in Rente

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Nun ist Stubbe also in Rente. Nach 20 Jahren spielte seine fünfzigste und letzte Folge im Rollstuhlbasketball-Milieu und wurde in Hamburg gedreht. Ich habe sie gestern zum ersten Mal sehen können und ich fand sie insgesamt sehr gelungen. Wer sie in der Mediathek schnell noch ansehen will, sollte sich diesen Beitrag nicht durchlesen, denn sonst geht die Spannung verloren.

Apropos: Blickt man auf den Spannungsbogen und auf die kriminalistische Handlung, fand ich die Folge eher durchschnittlich. Es kamen von vornherein etwa vier Tatverdächtige plus der große Unbekannte in Frage, wenn man gleich davon ausgeht, dass die Laienschauspieler keine Hauptrolle übernehmen würden. Der große Unbekannte schied ziemlich schnell aus, weil es an Nebenhandlungen fehlte. Wobei das kein Vorwurf an den Autor sein soll, denn in einer letzten Folge ist ohnehin schon jede Menge Handlung enthalten, die da einfach reingehört, wenn man jemanden wie Stubbe pensionieren will. Ein Stubbe wird eben nicht fünf Minuten vor Ende erschossen oder fällt mit seinem Auto eine Steilküste hinab, sondern Stubbe geht schnuggelig in seinen wohlverdienten Ruhestand, mit sich, seiner Familie und seinem Job im Reinen und mit seiner Liebsten im Arm.

Das alles unterzubringen, einige tagträumerische Rückblicke auf die vergangenen fünfzig Folgen einzuflechten und nebenbei dem Rollstuhlsport noch eine angemessene Präsentationsplattform zu geben, geht einfach etwas zu Lasten der Krimispannung. Aber ich fand, das störte überhaupt nicht. Es war eine wunderschöne Samstagabend-Unterhaltung, die völlig nebenbei ein tolles Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung zeigte, von dem sich viele Regisseure eine dicke Scheibe abschneiden können. Und ich habe meinen Leuten in der WG, die mit mir zusammen den Film per Beamer an der Wand des Gruppenraums guckten, bis zum Schluss nicht erzählt, wer da gemordet hat. Die Ersten kamen erst in dem Moment, als David mit seinem Rollstuhl in der Halle umkippte und Judith ihn auf ihre Art motivierte, wieder aufzustehen, auf die richtige Fährte. „Die hat doch einen an der Waffel“, äußerten sie und sollten Recht behalten. Eifersucht auf die erfolgreiche und beliebte Maria (Jana Reinermann) sollte die bemutternde Judith (Jule Böwe) auf einen ausgeklügelten und vernichtenden Plan bringen. Fast ganz zum Schluss kommt raus, was viele schon einige Zeit ahnten: Judith hat eine völlig gestörte Wahrnehmung, erlebt sich in einen Arzt verliebt, hasst die von ihr getötete Maria, weil sie ihr leichtfertig den Doctore ausgespannt hat – und muss dann auf Stubbes Frage, ob Dr. Riedel ihre Liebe je erwidert habe, zugeben: „Er hat es nicht mal gewusst.“

Ein richtiges flüssiges Basketballspiel ist leider nicht dargestellt, dafür ist zu viel geschnibbelt worden. Aber das tut der Sportart keinen Abbruch, denn einzelne Spielzüge sind durchaus erkennbar. Die professionellen Schauspieler, allen voran Trainer Niklas (Uwe Bohm), haben hart trainiert, um Bewegungsabläufe im Rollstuhl so authentisch und flüssig wie möglich wirken zu lassen. Was gelungen ist. Die Rollstühle passten, waren qualitativ hochwertig, die Inhalte waren stimmig, die gespielten Bewegungsmuster passten zu den erwähnten Lebensgeschichten und Verletzungen (Motorradunfall etc.). Einige gute Kompensationstechniken (Aufheben eines Balls, Ein- und Aussteigen aus dem Sportrollstuhl, Ausladen des Rollstuhls aus dem Auto, Öffnen von Türen und vieles mehr), waren sehr realistisch gespielt. Es gab einige Szenen, wie das gegenseitige Umarmen in der Halle beim Gedenken an Maria oder die abschließende Spielszene, die ich emotional sehr berührend und insbesondere von den Laien wunderschön gespielt fand.

Der eher gemütliche Stubbe (Wolfgang Stumph), der nach einer gemeinsamen Zech-Einlage kaum noch geradeaus gehen kann und sich auf Trainer Niklas abstützt („Man hilft, wenn einer an den Rollstuhl gefesselt ist“) und am nächsten Morgen mit einem Seil an den Rollstuhl gefesselt aufwacht („Was soll der Scheiß? Danke für die Belehrung“) wird mir, obwohl ich die Serie früher nie geschaut habe, künftig fehlen. Sein Kollege Zimmermann (Lutz Mackensey) ist genauso herrlich auf dem falschen Dampfer und steif („Mit Minderheiten lieber eine Spur zu korrekt“) wie man ihn schon als Kriminalrat Iversen in alten Wiederholungen des Großstadtreviers schätzen gelernt hat. Uwe Bohm in der Rolle des Niklas wächst als eher arschiger Trainer in der Szene um seine potentielle Impotenz über sich hinaus („Meinst du, dass ich keinen mehr hoch kriege?“), Jule Böwe spielt ihre Rolle (Judith) einfach hervorragend und auch Jana Reinermann (Maria) fand ich in ihrer Rolle (beliebt, erfolgreich, sexy, keck und mit Hamburger Dialekt) nur traumhaft.

Nicht ganz so professionell waren einige Kleinigkeiten, die mich aber eher zum Schmunzeln gebracht haben: Während in der Halle noch die Tote liegt und man draußen den Hausmeister Müll sammeln sieht, heißt es später, der Hausmeister sei vor dem Todeszeitpunkt nach Hause gegangen. In der Rechtsmedizin wirkt es für eine Sekunde lang so, als wenn die tote Maria grinst. Als David auf der Intensivstation liegt, spricht der Arzt draußen von „schweren Schlaftabletten“, mit denen er versucht habe, sich umzubringen, was ich als Medizinstudentin mal vorsichtig belächeln möchte, ohne weiter darauf einzugehen. In einer Szene, als Stubbe auf einen Loyalitätskonflikt für das Davids Schweigen zu den Tatumständen kommt, hat seine Enkeltochter für einen Moment lang die Hosen nass. Und als Stubbe ganz am Ende in die Sporthalle geht, um nachzustellen, wie sich der Mord abgespielt haben könnte, spiegelt sich für einige Sekunden ein Beleuchtungskran und ein Lkw mit Filmequipment in der Fensterscheibe der Sporthallentür. Aber sowas sieht man vermutlich auch nur, wenn man sehr genau hinschaut. Schade war auch, dass der Abspann nicht vernünftig zu lesen war, weil bereits Werbung für den nächsten Film lief.

Meine Mitbewohnerinnen und Mitbewohner fanden den Film allesamt sehr gut gelungen. Ich habe viele positive Mails bekommen. Aus unserem Sportverein kamen auch überwiegend positive Rückmeldungen. Und, und damit möchte ich dann nun endlich abschließen: 8,57 Millionen Zuschauer schauten den letzten Stubbe (26,3 Prozent Marktanteil) und ließen die anderen Sender (5,43 Millionen Volksmusikfans auf ARD und 5,29 Millionen DSDS-Bohlen-Freunde auf RTL) weit zurück. Schön, dass ich für einen solchen Film inspirieren durfte.