Kein Triathlon I

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Es war schon lange geplant, und ich habe lange darauf trainiert und mich vorbereitet. Nicht professionell trainiert, sowas mit zehn Einheiten pro Woche; aber schon etwas mehr als freizeitsportlich. Also mit Trainingsplan und bei jedem Wetter, drei bis vier Mal pro Woche. Ich wollte an diesem Wochenende endlich mal wieder an einem Triathlon teilnehmen. Marie hat mich zwar hin und wieder beim Training begleitet, aber da an diesem Wochenende eine gute Freundin von ihr heiratet, war klar, dass sie nicht dabei sein würde. Helena hatte sich für dieses Wochenende mit Kiara bei einem Reit-Camp angemeldet: Also alle ausgeflogen.

Am letzten Montag, also nicht mal mehr eine Woche vor der Veranstaltung, bekam ich einen Anruf aus dem Organisationsbüro, dass ich leider nicht teilnehmen könnte. Grund: Ein Spinner. Ein richtig ekliger Spinner. Eklig, weil Menschen bei Kontakt mit seiner Raupe heftig reagieren. Nein, nicht die Raupen, deren Bilder mir einige Spinner gerne ungefragt schicken. Die Rede ist vom Eichenprozessionsspinner, dessen Gespinste der Veranstalter zwischen Ausstieg aus dem Wasser und der ersten Wechselstation entdeckt hat, so dass er einen anderen Weg für die Läufer wählen musste. Dieser andere Weg sei aber so steil, dass er für Rollstuhlfahrer untauglich sei.

Tatsächlich gibt es zu diesem See nur einen Zugang und ich kann diese Entscheidung durchaus nachvollziehen. Auch wenn es mich ärgert, dass es keine Lösung gibt. Mit Blick darauf, dass tausende Menschen meine Beiträge lesen und teilen, erwähne ich vorsorglich, dass es sich nicht um den an diesem Wochenende ebenfalls stattfindenden Ironman in Hamburg gehandelt hat.

Als ich am Montagabend zum Schwimmtraining fuhr, war da, wie fast immer, auch Christin. So nenne ich sie mal. 22 Jahre alt, studiert Sonderpädagogik, etwa 165 cm groß, dunkelbraune, schulterlange Haare, braune Augen, schlanke, fast schon zierliche Figur, die Oberarme und Schultern allerdings sportlich-muskulös, meistens mit Brille anzutreffen. Sie hat bei der Auswahl ihrer Kleidung, auch der Badebekleidung, einen sehr guten Geschmack, trägt häufig sehr hübsche Sachen, die ich auch gerne mal finden würde, wenn ich auf Klamottensuche bin. Sie ist ein auffallend fröhlicher und selbstbewusster Mensch, ich erlebe sie häufig lachend und oft zu Scherzen aufgelegt. Mir war schon mehrmals aufgefallen, dass sie mich gerne neckt. Zum Beispiel, indem sie beim Training meine Wasserflasche, die eigentlich am Rand steht, schwimmen lässt. Oder meine Paddles. Neulich, als ich eine Trennleine ziehen wollte und mit dem einen Ende durch das Becken schwamm, hat sie sie regelmäßig festgehalten oder mich zurückgezogen. Immer, wenn ich mich umdrehte, guckte sie natürlich in eine andere Richtung und verhielt sich absolut unbeteiligt und unschuldig. Sie hat es also faustdick hinter den Ohren, aber auf eine sehr erfrischende Art und Weise.

Neulich hat sie mir eine gelbe Quietsche-Ente geschenkt. Hat sie, während ich schon im Wasser war, einfach auf die Sitzfläche meines Rollstuhls gestellt. Aber ohne irgendwas zu sagen. Wenn ich in die Halle möchte, muss ich durch eine Glastür. Nur so ist der barrierefreie Zugang möglich. Irgendwer muss die aber von innen öffnen, da von außen nur ein Knauf dran ist. Damit keine kleinen Kinder ungefragt über den Nebeneingang in die Halle kommen und ins Wasser plumpsen. Oft öffnet mir Christin, allerdings niemals ohne irgendwelche Blödeleien. Manchmal stellt sie sich erstmal vor die Tür und winkt mir zu, als wüsste sie nicht, dass ich hinein möchte. Oder ähnliches. Wir haben einigen Spaß miteinander. So gehe ich oft auf den Unsinn ein, der sehr häufig auch meine Behinderung thematisiert. Neulich öffnete sie die Tür einen Spalt und fragte: „Ja bitte? Wie kann ich Ihnen helfen?“ – „Guten Tag, ich bin die Jule, bin 26 Jahre alt und möchte gerne Schwimmen lernen. Hätten Sie noch einen Platz für mich frei?“ – „Da muss ich mal unseren Trainer fragen, aber ich glaube nicht, dass wir hier Behinderte nehmen. Können Sie morgen nochmal wiederkommen?“ – „Morgen kriege ich keinen Ausgang. Kann ich vielleicht selbst mal mit dem Trainer reden?“ – „Grundsätzlich gerne, aber leider klemmt die Tür.“

Und so weiter. Am Montag nun sprach Christin mich auf den am Wochenende bevorstehenden Triathlon an. „Wann geht’s los?“, fragte sie. „Gar nicht“, antwortete ich. Sie guckte mich erstaunt an: „Wie jetzt, in letzter Sekunde anders überlegt?“ – „Nö. Da spinnt ein Spinner in einer Prozession an einer Eiche, deshalb mussten sie die Strecke ändern, und die neue Strecke ist leider nicht mehr mit dem Rollstuhl zu befahren.“ – „Och nö. Echt jetzt?“ – „Ja. Die haben mir heute abgesagt. Meldegeld gibt es zurück, sie hoffen, dass die Viecher nächstes Jahr rechtzeitig abgesaugt wurden.“ – „Na toll. Aber dann kommst du einfach mit mir! Ich fahre am Wochenende zu einem Wettkampf und ich bin mir sicher, wir würden dich da auch noch angemeldet bekommen.“ – „Schwimmen?“ – „Ja, im See. Ich bin für zehn Kilometer angemeldet, aber ich schätze, sie haben auch was für Anfänger im Programm.“ – „Haha. Du bist doof.“ – „Ja, ernsthaft, für Schüler bestimmt 1000 Meter oder so.“ – „Und dann schwimme ich da als einzige Erwachsene zwischen den ganzen Kindern oder was?“ – „Na klar, also bei mir würdest du auf Anhieb manchmal auch als Neunjährige durchgehen.“ – „Ich hab dich auch lieb.“ – „Okay, Zehnjährige. Wenn du kein Mitleid haben willst, musst du wohl 5.000 schwimmen. Das schaffst du. Das ist wie etwas längeres Training.“ – „Im Training schwimme ich maximal drei. Und das ist in einer Halle ohne Wind und Wellen.“ – „Du trainierst auch in der Ostsee mit Wind und Wellen, und wer drei schafft, schafft auch zehn, und du meldest nur fünf. Also kein Problem.“ – „Wenn du das sagst…“ – „Also ist das schonmal gebont. Dann hab ich ja auch schon eine Mitfahrgelegenheit. Cool. Müssen wir nur noch klären, ob du bei mir im Zelt pennen willst oder edel ins Hotel gehst. Ich könnte mir ein Vier-Personen-Zelt von meinen Eltern ausleihen, einen Platz für mich und drei für dich.“ – „Ich habe nicht gesagt, dass ich mitfahre.“ – „Nee, aber ich. Nun komm schon, dein Wettkampf ist am Sonntag, du kannst dir meinen am Samstag in aller Ruhe anschauen, dich vorbereiten, mich vielleicht mal anfeuern. Und ich versuche, dich mit dem Kajak zu begleiten. Vielleicht bekommen wir das geregelt.“ – „Da war doch sicherlich schon lange Meldeschluss.“ – „Nachmeldungen kosten 25 Euro extra. Ich kümmere mich darum. Und du denkst positiv. Okay?“ – „Ich denke darüber nach und sage dir nach dem Training Bescheid.“

Nach dem Training war Christin plötzlich verschwunden. Ich schaute mich in der Halle um, irgendwann fragte ich jemanden: Sie sei schon gegangen. Also hatte sie es sich vielleicht wieder überlegt? Zu spontane Ideen gehabt? Ich zog mich um und als ich aus der Halle rollte, stand sie dort. Ich rollte zu ihr. „Und?“ – „Ich komme mit.“ – „Super“, strahlte sie und fiel mir um den Hals. Ich hatte vorher noch gar nicht wahrgenommen, dass ihr das sooo wichtig war. „Dann rufe ich für dich jetzt einen Kumpel an, der im Orgateam ist, und versuche, ihm das zu erklären. Weil die Veranstaltung so nicht inklusiv ausgeschrieben ist.“ – „Aber wenn es beginnt, umständlich zu werden, lassen wir das.“ – „Ich rufe dort erstmal an. Also die 5 Kilometer, ja?“ – Ich nickte, wenngleich ich unsicher war, worauf ich mich da einlassen würde. Sie scrollte durch ihre Kontakte und wählte eine Nummer. Und fing dann an, in einer anderen Sprache mit ihm zu sprechen. Auch wenn ich diese Sprache nicht konnte, verstand ich viele Worte. Ich mag den für mich lustigen Klang dieser Sprache und wusste bis eben noch nicht einmal, dass sie diese Sprache fließend sprechen kann. „Alles klar, sie nehmen dich noch mit rein.“ – „Super. Aber wieso sprichst du diese Sprache fließend?“ – „Mein Vater kommt von dort und ich bin zweisprachig aufgewachsen.“

Cliffhanger – Fortsetzung folgt!

Triathlon 2015

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Die Saison ist schon fast wieder vorbei. Und das zeitweise schwüle Wetter ist auch nicht unbedingt das beste für einen Triathlon. Hinzu kommt mein relativ schlechter Trainingszustand. Ich habe mich zwar immer sportlich betätigt, sobald ich die Möglichkeit dazu hatte, muss aber sagen, dass ich gerne mehr Möglichkeiten gehabt hätte. Durch mein Studium bin ich allerdings stark eingeschränkt.

Schlechter Trainingszustand heißt nicht, dass ich nicht mehr in meine Sportklamotten passe oder der Rennrolli beim Hineinsetzen ächzt. Sondern dass es ein Unterschied ist, ob man drei Mal pro Woche zehn bis zwanzig Kilometer abreißt und mindestens zweimal schwimmt, oder einmal pro Woche ins Bike kommt und einmal nach Feierabend ein paar Bahnen krault.

Trotzdem habe ich mich für die Kurzdistanz (P1) angemeldet: 1500 Meter schwimmen, 40 Kilometer Handbiken und 10 Kilometer mit dem Rennrolli. Die 60 Kurzbahnen im Schwimmbad würde ich problemlos schaffen, sogar 150 würde ich mir aktuell zutrauen. Die 40 Kilometer mit dem Liegebike werden auch nicht das Problem, zumal es nicht vorrangig um die Zeit, sondern um das Ankommen gehen würde. Aber die zehn Kilometer im Rennstuhl wären wohl eine Herausforderung. Gerade nach den 40 Kilometern auf dem Bike. Aber extra deshalb auf die (halbe) Sprintdistanz umsteigen? Nö.

Die Tage sind schon wieder erheblich kürzer geworden. Es war noch dunkel, als Marie und ich zum vorgesehenen Startpunkt fuhren. Frühes Kommen sichert gute Plätze. Wir waren seit drei Stunden unterwegs und erstaunlich gut durchgekommen. Einige Ordner, die die Straßen absperren sollten, waren gerade dabei, ihre Positionen zu beziehen, andere kämpften mir ihren Thermoskannen. Einer von ihnen sprang direkt vor unsere fahrenden Autos. Ich musste scharf bremsen und schaute besorgt in den Spiegel, aber Marie hinter mir reagierte ebenfalls schnell. „Hier ist Durchfahrt verboten!“ – „Wir wollen zum Wettkampf.“ – „Sie haben doch die Einladung gelesen und wissen ganz genau, wo Sie zu parken haben!“

Während er redete, holte ich meinen blauen Parkausweis raus und hielt ihm den unter die Nase. „Achso, seid ihr die beiden Behinderten?“ – Ich lächelte: „So könnte man das sehen, ja.“ – „Oh, ihr habt einen Sonderparkplatz direkt neben dem Startpunkt. Ich funke mal eben den Kai-Uwe an, damit er die Böcke wegschiebt. Wir haben euch extra zwei Plätze freigehalten. Ihr fahrt jetzt hier die Straße entlang, haltet euch rechts und dann seht ihr das schon auf der linken Seite. Wenn da keiner kommt, einfach mal hupen.“ – „Was für ein Service. Danke.“

„Ich bin Kai-Uwe und für eure persönliche Assistenz zuständig“, wurden wir von einem Mann in verwaschener Jeans begrüßt. Über seinem bierbauchfreien und nicht mehr ganz blickdichten weißen T-Shirt trug er eine gelbe Warnweste. Ich erwischte mich dabei, nachzugucken, ob nur „Ordner“ drauf steht und nicht etwa „Behindertenbetreuer“ oder sowas. Es stand aber nur „Ordner“ drauf. Erleichterung.

„Sagt mir, was ich tun soll.“ – „Guten Morgen, im Moment gar nichts, vielen Dank.“ – „Soll ich euch beim Ausladen helfen?“ – „Später vielleicht, vielen Dank.“ – Kai-Uwe redete ohne Luft zu holen. Er wollte meinen Kofferraum aufmachen, während ich noch nicht einmal meinen Alltagsstuhl ausgeladen hatte und noch im Auto saß. Sowas kann ich gar nicht leiden. Zum Glück geht die Klappe nicht auf. Während der Fahrt war ein Ersatzrad so verrutscht, dass es genau vor der Klappe stand und beim Öffnen vermutlich hinauspurzeln würde. Muss ja nicht erst sein, dass das jemandem auf die Füße fällt.

„Kai-Uwe?“, unterbrach ich seinen noch immer andauernden Monolog, dem ich schon lange nicht mehr folgte. Hauptsächlich, weil es vorne akustisch nicht ankam. Er kam angesprintet: „Pass mal auf: Es ist furchtbar lieb, dass du uns hilfst. Aber wir sind Sportler und sehr fit. Und unseren Triathlon müssen wir gleich auch alleine schaffen. Also lass uns das sportlich angehen und uns abstimmen, was du machst und was wir alleine können. Okay? Wir fragen dich sofort, wenn wir Hilfe brauchen. Wenn du einfach überall anfasst, wird das schnell lästig, auch wenn das gut gemeint ist.“ – „Okay, verstanden. Message ist ankommen. Wo braucht ihr Hilfe?“ – „Lass uns erstmal ankommen, die Gegend sondieren, und dann sagen wir dir Bescheid. Keine Panik.“

„Alles klar, ich hole mir erstmal eine Grillwurst. Ich habe nämlich noch nicht gefrühstückt. Ihr wisst ja, wo ihr mich findet. Wir haben Schinkengriller für Zwei Euro Fünfzig, das ist ein Freundschaftspreis, und normale Würste für zwei Euro. Soll ich euch eine mitbringen?“ – „Sehr nett, aber: Danke, nein.“ – Ich ließ die Scheibe auf der Beifahrerseite hinab. Marie guckte mich aus ihrem Auto an. Ich sagte: „So früh schon so wach … das kann ja heiter werden.“ – Marie antwortete: „Wer morgens Wurst isst, quält auch hilflose Rollstuhlfahrer.“

Das Gelände war nur sehr bedingt für Rollstühle geeignet. Gestartet werden sollte auf dem Rasen einer Badestelle, der allerdings so abschüssig und feucht war, dass wir gar nicht erst versuchten, ihn mit den Alltagsstühlen zu befahren. Direkt am Ende der Schwimmstrecke führte der Weg über einen matschigen, von Baumwurzeln durchzogenen Waldweg steil bergauf. Auch das würde mit dem Rollstuhl nicht zu bewältigen sein. Zwanzig Dixiklos standen am Rand der Wiese auf einem Podest. „Ich bin gespannt, wie das alles funktionieren soll.“ – „Irgendeinen Plan werden sie schon haben, sonst hätten sie uns nicht schriftlich bestätigt, dass wir teilnehmen können.“

Irgendwann kam der Organisator auf uns zu. Er erklärte uns, dass wir ins Wasser getragen werden, aus dem Wasser starten, am Ende aus dem Wasser getragen werden, unsere Bikes und Rennrollis in der Kehre neben unseren Autos stehen – etwa 200 Meter von den Wechselzonen 1 und 2 entfernt. Die Strecke sei aber dieselbe, da im Kreis gefahren werde. Lediglich mit dem Rennrollstuhl müssten wir anfangs 200 Meter weiter fahren, die 200 Meter werden aber am Ende verkürzt, weil alle Läufer noch eine halbe Abschlussrunde um einen Sportplatz drehen, während wir direkt ins Ziel rollen.

Eine Umkleidemöglichkeit gab es nicht, in die Dixi-Toilettenkabinen kamen wir nicht hinein. Ich krabbelte kurzerhand in den Kofferraum und ließ Marie die Klappe schließen. „Lass mich bloß wieder raus, wenn ich fertig bin“, scherzte ich. – „Mal sehen“, antwortete Marie. Rennrollstuhl und Handbike waren bereits draußen, so war genügend Platz. Und durch die getönten Scheiben konnte man von außen nicht besonders viel sehen. Nach einem fliegenden Wechsel starteten wir zu einer Aufwärmrunde in unseren Rennbikes.

Als wir wieder zurück kamen, bewachte Kai-Uwe unsere Rennrollstühle. Einige ältere Herren standen neugierig daneben. Einer wollte gerade einen der beiden anheben, vermutlich um einen Eindruck von seinem Gewicht zu bekommen, aber Kai-Uwe war aufmerksam: „Na! Geguckt wird nur mit den Augen, nicht mit den Fingern!“

Einer der Männer schaute mich an. „Ihr Gefährt?“ – Ich nickte. – „Krasses Teil. Können Sie nicht laufen? Also gar nicht?“ – Angenehm, ich heiße Jule. Aber das interessiert ja keinen. Ich schüttelte den Kopf. – „Aber mit dem Ding hier können Sie am Triathlon teilnehmen, genauso wie jeder andere, oder?“ – Naja, ich rolle, andere laufen. Aber ich wusste ja, was er meinte. Ich nickte. Er antwortete: „Und was machen Sie, wenn Sie unterwegs einen Platten kriegen?“ – „Dann ist für mich das Rennen vorbei.“ – „Wie ärgerlich! Kommt das denn vor?“ – „Mir ist das bislang noch nicht passiert.“ – „Dann hoffen wir mal, dass es heute nicht das erste Mal wird! Und haben Sie denn auch genug zu trinken an Bord?“ – Ich nickte. – „Und was machen Sie, wenn einer im Weg steht? Haben Sie da keine Klingel dran?“ – „Genauso wie bei anderen Rennrädern oder Laufschuhen, ist da keine Klingel dran. Ich kann ja rufen – oder den Veranstalter fragen, warum da einer auf der abgesperrten Strecke rumrennt.“

Bevor er nun noch fragt, was ich mache, wenn es zu regnen anfängt, meine Nase läuft, meine Blase voll ist oder meine Finger bluten, fragte ich Kai-Uwe, ob er mal bitte Maries und meinen Neo aus dem Auto holen könnte. Ich öffnete den Kofferraum per Fernbedienung, und als die Klappe automatisch nach oben ging, guckte der ältere Mann erst verwundert die Klappe, dann mich an: „Oh, darfst du heute Papas Auto fahren?“

So schnell sind wir also per Du. Ich reagierte nicht. Er fuhr fort: „Da hast du aber einen tollen Papa, ich habe meiner Tochter nicht erlaubt, mit 18 mein Auto auszuleihen. Ehrlich gesagt leihe ich ihr das heute noch nicht mal gerne, und inzwischen ist sie 35. Heimlich genommen hast du es dir aber nicht, oder?“ – Er guckte streng. Und möchte also wissen, wie alt ich bin, ob ich noch zu Hause wohne – sonst noch was? Ich spitzte die Lippen, legte den Zeigefinger darauf und sagte keck: „Psssst! Merkt er vielleicht gar nicht!“ – Seine Augen wurden immer größer. Marie grinste von einem Ohr zum Anderen.

Ich fragte Kai-Uwe: „Wer bemalt uns denn mit unseren Startnummern?“ – „Ich hol mal jemanden her, damit ihr da nicht durch den Sand müsst. Habt ihr Eure Anmeldungen und Startpässe parat?“ – Hatten wir. Während wir, auf dem Rasen liegend, mit einem schwarzen Stift angemalt wurden und uns zumindest schon bis zur Brust in unsere Neos zwängten, wurden wir zunehmend zur Attraktion. Immer mehr Leute blieben stehen und glotzten, wie wir uns, auf der Erde liegend, in die engen Teile pressten. Einige fragten, ob wir Hilfe bräuchten. Glotzten aber weiter, als wir das mehrfach verneinten. Konnten die nicht einfach mal weitergehen? Vielleicht würde die eine oder die andere von uns in Ermangelung eines barrierefreien Klos auch gerne nochmal nonchalant den Rasen bewässern, bevor man sich den Neo über den Popo zieht. Und dabei braucht man niemanden, der zuguckt. Keine Chance.

Wir müssten mindestens eine halbe Stunde vorher am Startpunkt sein und vorher unser Einschwimmen beendet haben. Super. So schnell würde ich gar nicht mit den Zähnen klappern können, wie ich dann friere. Vielleicht besteht ja die Möglichkeit, dass man uns, wenn wir sowieso aus dem Wasser starten, zehn Minuten vorher … okay, ich frage gar nicht erst. Also ein Kaltstart. Asche. Ich zog mir zwei paar dicke Socken über meine nackten Füße und eine dicke Fleece-Jacke über meinen Oberkörper. Band mir meine Haare zusammen und setzte schon jetzt die Badekappe und eine Mütze auf. Zwei Kannen heißen Früchtetee hatte ich mir mitgenommen, zwei weitere für Marie. Je Kanne ein Liter, also genügend Flüssigkeit und vor allem: Wärmezufuhr. Auf Bitten bekamen wir zwei Plastik-Gartenstühle an den Badestrand gestellt, damit wir nicht im Sand sitzen mussten. Ich setzte mich im Schneidersitz auf den Stuhl, damit meine Füße warm blieben. Und soff heißen Tee in Mengen. Die Rechnung ging auf, ich fror nicht. Marie ebenfalls nicht.

Ein Moderator erzählte alles mögliche. Wie teuer die Wurst ist, seit wann es den ausrichtenden Verein schon gibt, welche Sponsoren die Veranstaltung heute möglich gemacht haben und lauter solches Zeugs. Und dann: „Wir haben heute Behinderte unter den Teilnehmern, die starten…“ – Applaus brandete kurz auf. – „Können die beiden mal kurz winken?“ – Wir drehten uns um und winkten der klatschenden Menge zu. Der Moderator fuhr fort: „Die beiden starten aus dem Wasser und haben eine leuchtend orangene Badekappe auf. Die nehmen genauso teil wie alle anderen auch und bekommen von uns keine Sonderbehandlung! Beide schwimmen aber zum Beispiel nur mit den Armen und ohne Beinschlag, und wer keine Rücksicht nimmt und meint, sie deshalb über den Haufen schwimmen zu können, wird ohne Vorwarnung disqualifiziert.“ – Erneut wurde geklatscht.

Man könnte glauben, es hätten alle verstanden. War aber nicht so. Der Start verlief komplikationslos. Der See war ruhig, die Kälte des Wassers war nach so viel heißem Tee durchaus erträglich. Es wurde im Dreieck geschwommen und kurz nach der zweiten, also letzten, Boje, überholte uns ein Mann, geschätzt 50, den ich zuerst gar nicht wahrnahm, der dann aber direkt vor mich schwamm und sein Tempo deutlich verlangsamte. Was war das für ein Idiot? Ich änderte meinen Kurs, versuchte ihn zu überholen, er schwamm jedoch genau neben mir und setzte sich zwischen Marie und mich. Wir waren ungefähr gleichauf. Nun pendelte er ständig von einem zum anderen und berührte mich mehrmals, um nicht zu sagen, ich bekam mehrere seiner Kicks in die Rippen. Ich musste unterbrechen und vom Kraulen ins Brustschwimmen wechseln, um genug Luft zu kriegen. Das tat ganz schön weh. Marie bekam kurz darauf ebenfalls was ab. Das war ganz offensichtlich pure Absicht! Hatte er sich von der Ansage des Moderators oder gar vom Applaus anstacheln lassen? Leider konnte ich seine Nummer nicht erkennen.

Ein Kajakfahrer, der das Rennen begleitete, kam auf uns zugerauscht. „Alles okay bei Euch?“ – Ich nickte und kraulte weiter. Zum Glück fand ich wieder in meinen Rhythmus. Ich spürte Marie wieder neben mir. Natürlich ohne sie zu berühren. Im brusttiefen Wasser warteten bereits vier Helfer, ebenfalls im Neoprenanzug, auf uns, die uns zu unseren Bikes tragen sollten. Die beiden hatten es drauf: Sie verschränkten unter meinem Po ihre Hände so, dass ich mich auf ihre Arme setzen konnte, meine Arme um ihre Schultern, dann liefen sie mit mir los. Das klappte ja mal gut und sicher fühlte ich mich auch. Das haben die beiden ganz offensichtlich geübt. Sehr schön! Als wir aus dem Wasser kamen, wurde ich auf eine Diskussion aufmerksam: Unseren Rippenkicker hatte man gestoppt. Yes. Inneres Bratkartoffelessen. Ich wusste nur nicht, dass es unsere Begegnung war, die die Offiziellen auf den Plan gerufen hatte. „Hat er Sie getreten?“, rief mir der Kampfrichter zu, während meine beiden Jungs mit mir auf dem Arm durch den Sand joggten. Ich antwortete: „Mehrmals in die Rippen, ja. Und meine Freundin auch.“ – „Und damit ist für Sie hier Feierabend. Wir haben das angekündigt, wir wussten warum, und ich habe Sie genau beobachtet. Wir schreiben auch einen Bericht an den Verband. Ich kann gar nicht so viel essen wie ich kotzen möchte.“

„Weiter“, rief ich meinen Trägern zu. Die beiden liefen weiter. „Hat mich schon genug Zeit gekostet, der Idiot“, hechelte ich. Mit dem musste ich mich nun wirklich nicht aufhalten. Ich wurde etwas unsanft neben meinem Equipment auf den Rasen gesetzt. Marie plumpste kurz darauf neben mich. Die beiden halfen mir, aus meinem Neo zu kommen. In mein Liegebike kam ich alleine. Helm auf, Abfahrt.

Die Helfer hatten es im Griff. Der Verkehr war zuverlässig abgesperrt, man wusste, wohin man sollte, wir gaben Vollgas. Marie war rund zweihundert Meter hinter mir. Weil es nicht die Sprint- oder Jedermann-Distanz war, waren überwiegend Leute auf der Strecke, die einigermaßen professionell aufgestellt waren. Also niemand auf einem roten Eisenbahn-Mietfahrrad und auch keine Hollandräder mit windabweisendem Bastkorb am Lenker. Die Sonne kam hinter den Wolken hervor und wärmte. So richtig heiß wurde mir irgendwie den ganzen Tag nicht.

Die Strecke war okay. Um ein paar Unebenheiten konnte man herumlenken, Löcher in der Straße oder plötzliche Bordsteine im Weg gab es dieses Mal nicht. Die Strecke verlief über zehn Kilometer und musste vier Mal durchfahren werden. Beim zweiten Mal wusste man immerhin schon, wie der Weg verlief und konnte sich schon rechtzeitig nach links oder rechts orientieren, hoch- oder runterschalten und die Kurven auch etwas schneller nehmen. Die vierte Runde wurde langweilig. Der Himmel war bedeckt und von grauen Wolken verhangen, einmal fielen ein paar Tropfen. Ich hoffte, dass es nicht noch richtig zu regnen anfangen würde.

Der Transfer vom Bike in den Rennrolli klappte problemlos. Die ersten drei Kilometer waren auch noch okay, dann verlief die Strecke aber über eine Bundesstraße in den Nachbar-Ortsteil, zwischen Feldern und Wiesen hindurch und fast ohne Zuschauer. Marie fuhr neben mir. Der Wind kam von vorne, es zog sich wie Kaugummi. Meine Arme wurden immer länger, ich musste mich richtig anstrengen, um durchzuhalten. Es war hauptsächlich eine Kopfsache. Dann erreichten wir endlich zu Zufahrtsstraße zum Sportplatz. Wir überholten noch zwei Frauen, dann fuhren wir durch ein Feuerwehrtor über ein kurzes Stück Rasen und dann sofort auf eine Laufbahn. Während die Fußgänger tatsächlich noch knapp zwei Runden auf der Außenbahn drehen mussten, schickte uns ein Ordner direkt in die Innenbahn auf die Zielgerade.

Etliche Leute, die im Zielbereich standen, begannen zu jubeln und zu klatschen. Marie war zuerst direkt vor mir, allerdings passten wir nicht nebeneinander durch den Zielbereich. Ich ließ Marie vor. Innerhalb von zwei Sekunden fuhren wir durch das Zieltor. Uns wurden die Transponder für die Zeiterfassung abgenommen, bevor wir drei Mal tief Luft geholt hatten. Und dann kam Kai-Uwe mit unseren Rucksäcken und unseren Alltagsstühlen, die wir ihm vorher am Start geben sollten, in seinem Transporter. Unser Shampoo, trockene Alltagskleidung, trockener Stuhl … lange habe ich mir nicht mehr so sehnsüchtig eine warme Dusche gewünscht. Und sie war tatsächlich heiß, was man ja aus anderen städtischen Sporteinrichtungen oft eher nicht so kennt. Dort ist das Wasser meistens allenfalls lauwarm, und es dauert dank Wasserspareinrichtung eine halbe Stunde, bis man komplett nass ist. Nein, hier gab es in der Rollidusche sogar eine Handbrause.

Bei der anschließenden Siegerehrung bekamen wir neben einer Flasche Bier vom Sponsor auch noch ein Duschgel und ein T-Shirt sowie eine Medaille und eine Urkunde. Und es gab einen Shuttle-Service, so dass wir mit Rennstuhl wieder zu unseren Autos kamen. Die Organisation war also perfekt. An den örtlichen Gegebenheiten könnte man vielleicht das eine oder andere noch verbessern, noch ein paar Barrieren abbauen. Alles in allem war es aber ein tolles Event, das Spaß gemacht hat.

Eine spannende Herausforderung

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Ich habe die Nacht durchgeschlafen, am Morgen wurde ich vom Wecker geweckt. Neben uns auf dem Parkplatz hat mitten in der Nacht ein Wohnmobil geparkt, das habe ich gar nicht mehr mitbekommen. Noch drei Stunden bis zum Start. Pinkeln geht auch vom Baumstumpf, Zähneputzen auch mit Mineralwasser. Auf dem Weg zum Start kamen wir an einem Bäcker vorbei, der sogar schon geöffnet hatte. Wir konnten mit dem Auto direkt bis an den Start heranfahren und etwa fünfzig Meter daneben auf einer Wiese parken. Ein Wasserrettungsverein hatte Spaß damit, sich gegenseitig die Rücken-Klettschilder (wie „Einsatztaucher“) überkopf aufzukletten. Ein Pavillon wurde aufgebaut. „Siehste, kommst ja doch noch zum Grillen. Krakauer Zwozwanzig“, sagte ich zu Lisa. Sie antwortete: „Zum Frühstück? Pfui.“

Wir begannen, unsere Rennrollstühle und Rennbikes rauszuholen und herzurichten. Es gab einige interessierte Leute, die sich für die Übersetzung, den Hersteller der Kettenblätter und die Frage interessieren, ob das Bike trotz Scheibenbremsen ruhig läuft. Dann fragte mich ein junger Mann, um die 20, nach dem Weg zu den Umkleiden. Ich konnte ihm die Frage nicht beantworten und schickte ihn zu einem Offiziellen. Wir begannen, uns genügend Flüssigkeit zuzuführen. Eigentlich viel zu spät. „Haben die eigentlich ein Rolliklo?“, fragte ich Lisa. Lisa antwortete: „Ich glaube, die haben nicht mal ein normales Klo hier. Ich habe zumindest noch keins gesehen.“ – „Gehen die jetzt alle in die Büsche oder was?“ – „Oder in den See. Dann ist es nachher wenigstens nicht ganz so kalt.“ – „Na legger. Und ernsthaft?“ – „Irgendwo müssen die Dixis ja stehen.“

Unerreichbar für uns gab es in der zweiten Etage des Bootshauses vier Unisex-Toiletten. Über dem spiegelglatten See lag dünner Nebel. Ein Rabe kam angehüpft, legte den Kopf schief und guckte uns einige Zeit aufmerksam zu. Irgendwann traute er sich bis auf einen halben Meter an Lisa heran. Sie fragte: „Na, wer bist du denn?“ – Ich antwortete mit krächzender Stimme: „Ich bin der Jakob, und ich habe Hunger. Wenn du mir jetzt die Nutella-Brötchen-Krümel von deinem Schoß gibst, laufe ich dir noch mindestens eine halbe Stunde lang aufmerksam hinterher.“ – Lisa streckte mir die Zunge raus und wischte die Brötchenkrümel von ihrem Schoß. Auf den Moment hatte Jakob gewartet. Allerdings hatte er wohl gehofft, dass dabei etwas mehr als ein halbes Spatzen-Frühstück zusammenkommt.

Ein Ordner kam zu uns, legte seinen Arm um meine Schulter und wollte mir erklären, wo der Start ist. Ich sagte: „Oah, bitte nicht anfassen. Das habe ich nicht so gerne.“ – Er starrte mich entsetzt und fragend an. Ich fügte hinzu: „Ja, ist so. Sie können doch nicht einfach jeden anfassen.“ – Er schüttelte den Kopf und zog davon. Eine Frau mit einem Edding und unseren Nummern kam zu uns. „Guten Morgen, an unsere Theke kommen Sie nicht, da müssten Sie durch das hohe Gras, also komme ich zu Ihnen.“ – Wir bekamen unsere Chips, wurden angemalt, bekamen die Nummern mit Kabelbinder an den Bikes und Rennstühlen befestigt. Dann kam ein älterer Mann, geschätzt 60, zu uns. „Ich sammle Autogramme. Können Sie hier in meinem Büchlein unterschreiben?“ – „Wer von uns?“ – „Na beide!“

Wir starteten eine kurze Aufwärmrunde mit dem Bike. Warm werden, aber bloß nicht ins Schwitzen kommen, war die Devise. Als wir wieder zurück waren, zogen wir unsere Neos drüber und rollten zum Einschwimmbereich. Noch 30 Minuten. Sollten wir wirklich? Es war arschkalt und es fielen die ersten Regentropfen. Ein Ordner schob unsere Rennbikes und Rennstühle ins Bootshaus. „Was macht der denn jetzt?“, fragte Lisa. Er kam anschließend zu uns: „Ich habe Eure Geräte mal ins Trockene gestellt, das wird ja sonst alles nass. Aber ich schiebe sie rechtzeitig wieder zurück.“ – Ähm. Bitte?! Man stelle sich jetzt nur mal vor, das würde jemand mit den Rennrädern eines Fußgängers machen. Und hoffentlich werden wir dafür nicht disqualifiziert. Denn eigentlich dürfen die Räder die Wechselzone nicht mehr verlassen. Nur wenn ich mich jetzt noch mit dem nächsten Ordner anlege, der es „nur nett“ meint, gehe ich vermutlich nicht als eine der ersten beiden Rollifahrerinnen, sondern als Oberzicke in die Bücher der Veranstaltung ein. Also lächelte ich höflich und sagte ich dazu mal nichts.

Ein Moderator beschallte mit einer Lautsprecheranlage das gesamte Gelände. Gerade war „Samurai“ von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung verstummt, ich war ja froh, dass sie nicht aus Versehen „Burli“ gespielt haben, da wurde angekündigt, dass das Wasser kalt, das Wetter scheiße und die Teilnehmerzahl nicht so hoch wie im letzten Jahr ist. Aber: „In diesem Jahr sind erstmals zwei Behinderte am Start. Begrüßt mit mir Lisa und Julia aus Hamburg!“ – Die Menge klatschte und gröhlte. Lisa und ich klatschten und winkten einmal freundlich in die Menge. „Die beiden erkennt ihr an der orangenen Badekappe. Ihr habt alle eine gelbe, die beiden Behinderten haben eine orangene. Nehmt etwas Rücksicht und schwimmt sie nicht über den Haufen! Wir starten vom Strand, Lisa und Julia starten aus dem Wasser.“

Lisa sagte leise: „Ach echt? Ich dachte, wir starten vom Steg.“ – „Wir werden es ja sehen.“ – „Ich bin so aufgeregt.“ – „Wird schon schiefgehen!“, versuchte ich sie zu beruhigen. Daran war aber nicht zu denken: „Was meinst du, sind da tote Fische im See?“ – „Zombies!“, blödelte ich. – „Das ist Maries Witz.“ – „Stimmt, aber Marie ist nicht da.“ – „Die sollen mal hinne machen, ich muss dringend ins Wasser.“ – „Setz dich doch auf den Rasen. Dann kann einer der Ordner schonmal deinen Alltagsstuhl wegbringen.“ – „Gute Idee“, befand Lisa. Ich setzte mich zu ihr, zwei Ordner, die zuvor auf das Flatterband aufgepasst hatten, rollten unsere Alltagsstühle in das Bootshaus.

Zur Freisetzung des letzten Fünkchens Motivation hielt dann noch der Bürgermeister eine Ansprache über das Mikrofon. Am Wochenende so früh aufstehen sei eine Sache, dann aber kilometerweit schwimmen, radeln und laufen, da bewundere er uns. Und ganz besonders bewundere er die beiden Rollstuhlfahrerinnen, die das alles ohne Einsatz ihrer Beine machen werden. „Können die beiden mal winken?“ – Wir winkten. – „Ah, ich habe sie entdeckt. Ich wünsche Euch und allen anderen Sportlerinnen und Sportlern einen verletzungsfreien und fairen Wettkampf! Ich hoffe, dass ich alle am Ziel wiedersehen werde und übergebe das Mikro nun zurück an den Wettkampfleiter.“

Lisa tickte mich an. „Spitzmaus und Spitzmaus“, sagte sie und zeigte dabei zunächst auf mich und dann auf sich, „krabbelten ums Bootshaus. Wollten sich was kaufen … wie geht es noch gleich weiter?“ – „Keine Ahnung“, antwortete ich. – „Na jedenfalls hatten sie kein Geld mit. Irgendwie so. Also: Wollten sich was kaufen, tralala, hab ich vergessen, und dann: Setzten sich ins grüne Gras und pieselten die Hosen nass.“ – Ich schüttelte den Kopf. Lisa lachte: „Triathlon! Wenn man muss, dann muss man.“ – „Ich kenne den Spruch mit der Dickmadam und der Eisenbahn.“ – „Das kenne ich auch, das diskriminiert aber dicke Leute, hat mal ein Lehrer von mir gesagt.“ – „Aha. Und der Biss einer Spitzmaus ist giftig. Musste ich gerade kürzlich lernen. Die Viecher verwenden das gleiche Gift wie ein Skorpion.“ – „Das ist ja widerlich. Dann bin ich lieber doch keine Spitzmaus.“

Zwei kräftige Jungs in Neoprenanzügen kamen zu uns. „Wir sollen Euch ins Wasser tragen. Wen zuerst?“ – Wir deuteten beide gleichzeitig aufeinander, sagten dann beide wie aus einem Mund: „Na gut.“ – Die Jungs im Neo lachten. „Ihr seid bestimmt so leicht, dass jeder von uns eine von Euch huckepack kriegt, oder?“ – „Können wir probieren.“ – Wir klammerten uns um die Schultern, die beiden standen aus der Hocke auf, latschten mit uns ins Wasser. Wir waren kaum bis zur Brust drin, da kam das Startsignal. Ich schubste mich von meinem Träger weg und schwamm. Eine Frau paddelte auf einem Surfbrett liegend vorweg und zeigte den Weg zur nächsten Boje. Lisa und ich mussten anfangs etwas schräg schwimmen, um zum Hauptfeld zu kommen. Das sollte unseren Vorsprung, den wir dadurch bekommen hatten, dass wir ins Wasser getragen wurden, wieder ausgleichen. Ich befand mich dennoch in der Spitze eines Feldes aus rund 70 Personen und gab Vollgas. Konzentrierte mich nur auf das Schwimmen, konnte mich gut an der Frau auf dem Surfbrett orientieren, schluckte ein paar Mal Wasser, als eine Welle beim Einatmen mein Gesicht traf, verschluckte mich aber nicht. Alles lief super.

Die Schwimmstrecke verlief als Dreieck, man musste um zwei große Bojen herum schwimmen. Bei der ersten Boje gehörte ich noch zu den fünf Schnellsten. Ich schwamm, vorgegeben durch meinen Startplatz, auf der Innenseite des Feldes und bekam auf Höhe der Boje den Kampfgeist der anderen Teilnehmer zu spüren. Ein Kick in den Bauch, ein anderer gegen den Ellenbogen, das zwiebelte ganz schön. Dann schwamm irgendjemand fast auf mir. Vier, fünf Mal bekam ich seinen Arm in die Seite. Ich wich etwas nach links aus, das brachte aber nichts. Ich hörte den langen Pfiff einer Trillerpfeife. Galt der mir? Wohl eher nicht. Ich schwamm weiter. Der Typ, der eben noch halb auf mir lag, schwamm etwas weiter rechts. Inzwischen hatten mich einige Leute überholt. An der zweiten Boje war ich geschätzt noch unter den ersten fünfzehn. Das lief besser als gedacht. Und das, obwohl ich selten schlechter vorbereitet in einen Triathlon gegangen war. Hoffentlich würde ich das durchstehen.

Am Ende wartete bereits ein Helfer im Neo auf mich. Im hüfttiefen Wasser umklammerte ich seinen Oberkörper, er trug mich raus, lief mit mir über den Strand an die Stelle, wo eigentlich unsere Bikes stehen sollten. Er setzte mich etwas unsanft auf dem Boden ab. Ich begann, mich aus dem Neo zu schälen. Er wollte mir helfen. „Wo sind unsere Bikes? Die hatte vorhin jemand ins Bootshaus geschoben.“ – Das durfte doch nicht wahr sein. Der Typ im Neo flitzte los. Bis zum Bootshaus waren es rund 300 Meter. Während ich mich wie ein Käfer auf dem Rücken im Gras wälzte und meinen Neo auf links zog, kam Lisa bereits auf dem Rücken des anderen Helfers aus dem Wasser. Auf der anderen Seite kamen rund ein Dutzend Leute mit unseren Sportgeräten angelaufen. Jeweils vier Leute trugen sie, vermutlich war die Feststellbremse angezogen. Unglaublich. Ich krabbelte in mein Rennbike, klettete meine Beine fest, trocknete meine Hände ab und wischte den Sand weg, Helm auf, Sonnenbrille auf, Trinkflasche ausgerichtet, dann wurde ich über den Rasen zu dem Grundstück gezogen, über das wir die Wechselzone verlassen sollten. Vor der Garage stand noch ein Auto, was dort eigentlich nicht stehen sollte, so dass ich kurzerhand nicht über die Garagenauffahrt, sondern über den gepflasterten Weg rund um einen Fischteich das Gelände verließ. Dann war ich auf der Straße und konnte endlich Gas geben.

Die Straße war zwar für den Autoverkehr gesperrt, aber einige Leute hielten sich daran nicht. Zum Glück war die Fahrbahn breit genug, so dass wir uns nicht ins Gehege kamen. Einige Autofahrer wichen auch auf den Radweg aus und warteten dort. Die Straße war gut asphaltiert und hatte keine Löcher, so dass man vernünftig fahren konnte. Einige Leute auf Rennrädern überholten mich. An der Strecke standen einige Grüppchen und feuerten an. Die Straße war teilweise nass vom Regen und entsprechend rutschig. Zwei Leute hatten sich gleich in der ersten Kurve hingelegt. Man musste schon etwas langsamer werden. Die Strecke war gut ausgeschildert. Eine Bundesstraße wurde von der Polizei abgesperrt, das funktionierte einwandfrei. Die Lufttemperatur war genau richtig, die Sonne schien inzwischen ein wenig und wärmte angenehm. Meine Blase meldete sich in einer Tour, das war aber nach dem einen oder anderen tiefen Schluck aus dem See kein Wunder. Übel war mir aber nicht, mein Kreislauf spielte auch mit, nichts scheuerte, nichts tat weh, alles war gut.

Lisa war inzwischen etwa 500 Meter hinter mir, wie ich irgendwann zufällig bemerkte. Ich konnte die zweite Wechselzone am Ende der Straße sehen. Während Fußgänger nur bis zu einer Linie auf dem Rad fahren dürfen und ab dort ihr Rad schieben müssen, gilt für Paratriathleten, dass sie hinter dieser Linie nicht schneller als 12 km/h rollen dürfen. Ein Kampfrichter stand an dieser Linie und hielt – wie bei jedem Rennen – massenweise Teilnehmer an, die ihre Helme bereits vor dieser Linie geöffnet und teilweise auch schon abgenommen hatten. Die Regel ist, dass der Helm erst nach Abstellen des Rades geöffnet werden darf. So mussten sie alle dort anhalten, für die letzten 20 Meter ihren Helm wieder aufsetzen und nochmal ordnungsgemäß verschließen. Ich brüllte rechtzeitig, um nicht erst stoppen und mühsam wieder anfahren zu müssen: „Darf ich mal vorbei?“ – Der Ordner brüllte zurück: „Und wenn Sie dabei jetzt noch die Frau im Rollstuhl behindern, werden Sie disqualifiziert!“ – Hier herrscht Recht und Ordnung! Etliche Leute sprangen zur Seite.

Ich hielt direkt neben meinem Rennrollstuhl. Das Umsetzen dauerte keine Minute, nebenbei eine Banane in den Mund, Hände abtrocknen, Handschuhe an. Ich fuhr gerade los, da kam Lisa in die Wechselzone. Sie streckte mir einmal die Zunge raus. Ich grinste. Das Auto stand inzwischen nicht mehr auf der Auffahrt, mit dem Rennrolli wäre der Weg um den Fischteich auch etwas beschwerlicher geworden. Ab auf die Straße, erstmal loskommen. Ich kam nach einigen Metern an einem Wasserstand vorbei und ergatterte im Vorbeirollen einen Pappbecher. Die Hälfte des Inhalts schwappte mir wegen des weichen Bechers über die Brust, den Rest kippte ich in drei großen Schlucken in mich rein. Becher weg, weiter. Einen Kilometer weiter gab es einen Müsliriegel. Eingepackt. Tolle Idee…

Der Rest der Strecke lief fast automatisch. Ich versuchte, den möglichst optimalen Weg zu finden und konzentrierte mich auf ein möglichst gleichmäßiges Tempo. Da ich mit meinem Rennrollstuhl durchaus ein höheres Tempo erreiche als ein Fußgänger im Ausdauerlauf, überholte ich etliche der Leute, die mich zuvor mit ihrem Rennrad abgehängt hatten, wieder. Die drei Stufen vor dem Zieleinlauf kamen sehr überraschend, so dass ich ziemlich scharf abbremsen musste. Drei Leute mit gelben Westen fassten an und hoben mich mitsamt dem Stuhl über die drei Stufen. Ich rollte über einen gepflasterten Weg direkt auf die 400-Meter-Bahn der Anlage. Leider wurde die in Drehrichtung des Uhrzeigers befahren, also gegen die sonst übliche Richtung, so dass die im Rennrolli eingestellte Kurvenvorgabe wirkungslos war und ich mehrmals manuell gegensteuern musste. Über Lautsprecher wurde die halbe Anlage beschallt. „Und da kommt bereits die erste Rollstuhlfahrerin, ich habe noch nicht gesehen, ob es Lisa oder Tina ist, aber das ist im Moment auch egal, freuen Sie sich mit mir auf ihren Zieleinlauf.“ – Einige Leute klatschten. Ich fragte mich, wer Tina ist und wie überrascht man wohl sein würde, wenn es weder Lisa noch Tina ist, die da über die Ziellinie rollt.

Endlich auf der Zielgeraden. Auf einer Zuschauertribüne saßen geschätzt 200 Leute, die nun klatschten, von ihren Sitzplätzen aufstanden und mich anfeuerten. Hoffentlich passt mein Rennrolli durch den schmalen Zieleinlauf und ich fahre nicht noch ein Gitter um oder sowas. Oder dem Bürgermeister über die Füße. Vor allen Leuten sich auf den Schoß reihern wäre bestimmt auch klasse. Ich sah Lisa, die gerade vom gepflasterten Weg auf die Bahn rollte. Während ich über die Ziellinie fuhr, kam eine Ordnerin auf mich zugesprungen und wollte, dass ich meinen Chip an ein Lesegerät halte. Ein anderer Typ hielt mir ein Mikro unter die Nase. Drei Sekunden nach dem Überqueren der Ziellinie. „So, Julia, lese ich, wie war es?“ – „Ich bin im Ziel, bin völlig außer Atem von einem Endspurt auf den letzten vierhundert Metern und sehe gerade, dass ich nur ganz knapp vor meiner Herausforderin ins Ziel gekommen bin.“, hechelte ich. – „Kommen Sie mal ein kleines Stück mit mir, wie war die Strecke?“ – „Lassen Sie mich erstmal fünf Minuten runterkommen, bevor wir ein Interview machen, okay?“ – „Das ist natürlich völlig verständlich“, sagte er, dann wurde dem Typen der Saft abgedreht und ein unsichtbarer Moderator erzählte weiter: „Die Julia werden wir nachher bei der Siegerehrung nochmal zu Wort kommen lassen, jetzt feuern Sie bitte erstmal Lisa an, denn die letzten hundert Meter sind die schwierigsten!“

Wenn auch sonst das eine oder andere etwas holprig verlaufen war, eine Sache hatte geklappt: Unsere Alltagsstühle hatte man vom Start zum Ziel befördert. Wunderbar. Ein Ordner kam, beide Stühle an der Rückenlehne schiebend, auf mich zu. Ich signalisierte ihm, dass wir den Transfer nicht vor allen Leuten machen würden, sondern dafür hinter die Tribüne rollen. Auch Lisa wurde beklatscht und lehnte das Interview mit einem hechelnden „Später, okay?“ ab. Dann kam sie zu mir. Ich knuddelte sie erstmal, dann fuhren wir duschen.

Frisch gebürstet und gestriegelt tauchten wir dann bei der Siegerehrung auf, bekamen unsere Urkunden, eine Medaille und noch einmal das Mikro unter die Nase gehalten. Wir bedankten uns für die Organisation, für das tolle Erlebnis. Auf die Schwachstellen in der Organisation ging ich gar nicht erst ein, auch wenn ich explizit danach gefragt wurde. Vor Publikum musste das nicht sein, so dass ich nur sagte: „Es war ein schöner Tag, ihr seid ein tolles Team mit vielen hilfsbereiten Menschen hier, und dass beim ersten Mal noch nicht alles routiniert abläuft und das eine oder andere noch optimiert werden kann, ist völlig normal. Wir freuen uns, dass wir dabei sein konnten, und wir freuen uns über zwei tolle Zeiten und einen tollen Applaus im Ziel.“ – Der Organisator meinte dennoch: „Ich persönlich freue mich riesig, dass wir erstmals zwei Paratriathletinnen dabei gehabt haben und ich euch kennenlernen durfte. Es war eine spannende Herausforderung, ich bin froh, sie angenommen zu haben, denn ich habe heute so viele wichtige Dinge dazu gelernt wie auf den letzten zehn Veranstaltungen nicht. Ich bin ganz ehrlich, bis heute morgen fand ich mich cool, weil ich hier jedes Jahr mit meinem Team dieses Event auf die Beine stelle, aber heute musste ich feststellen, ich habe dabei nie an Menschen mit Behinderung gedacht und bin in diesem Trott über zehn Jahre lang völlig an der Realität vorbeigelaufen. Ich verspreche Euch, beim nächsten Mal haben wir für Euch den gleichen Standard wie für alle anderen Athletinnen und Athleten, und ich lade Euch schon heute ein, im nächsten Jahr dabei zu sein und uns mit anderen Triathlon-Events zu messen!“

Doch noch ein Triathlon

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„Begleitest du mich auf den Triathlon am Wochenende?“, fragte mich per Mail Lisa. Ja, jene Lisa, die ich alle fünf Minuten knuddeln könnte. Die oft nicht merkt, dass sie gerade wieder einen Witz nach dem nächsten reißt, und alle über sie lachen müssen, weil sie so herzerfrischend einfach ist. Keineswegs dumm, sondern einfach einfach. Dass das ein Unterschied ist, merkt der letzte spätestens dann, wenn ich erwähne, dass sie vor einem halben Jahr ihren Führerschein bestanden hat und inzwischen mit einer rund 20 Jahre alten Blechkiste Hamburgs Straßen unsicher macht. Und inzwischen mit ihrem Freund eine eigene Wohnung bewohnt. Ja, Zeiten ändern sich.

Eigentlich habe ich dafür so überhaupt keine Zeit, aber andererseits wäre das die Chance, wenigstens an einem Triathlon in diesem Jahr noch teilzunehmen. Meine Vorbereitung ist nicht optimal, Marie und Cathleen hatten auf gar keinen Fall Zeit – tja. „Die haben zum ersten Mal auch Rollifahrer dabei“, sagte Lisa. Aber es sei alles mit dem Rolli zu machen. Sie habe mit dem Veranstalter telefoniert und es gebe wirklich keinerlei Stufen oder so. Es sei nur ein kleiner Triathlon, man müsste so rund 2 bis 3 Stunden mit dem Auto fahren und … am besten dort auch schlafen.

„Ach, Lisa“, sagte ich. – „Ach, Jule“, sagte Lisa und ich bildete mir ein, ich konnte am Telefon ihre Wimpern klimpern hören. „Du musst keine Angst haben, ich werde dich nicht überholen, dafür bin ich viel zu langsam!“ – „So wenig fit, wie ich bin, bist du von vornherein vor mir. Aber das ist nicht mein größtes Problem, sondern ich muss für die Uni noch so viel tun“, antwortete ich. Lisa: „Och bitte. Ich bezahl auch deine Startgebühr und ich nerv auch nicht. Bitte! Alleine traue ich mich nicht.“

Okay. Lisa. „Ich machs.“ – „Wow, super, grillen wir dann zusammen am Abend davor? Darf ich mit dir in deinem Bus schlafen? Und stellen wir den dann irgendwo hin, wo die Sonne romantisch untergeht?“ – „Was hast du mit mir vor?“ – „Nix, Jule. Nein, echt nicht! Ich guck ja die Sonne an und nicht dich.“ – „Während du mit mir schläfst?“ – „Willst du mit mir schlafen?!“ – „Nein, du hast gerade gesagt, du willst mit mir in meinem Bus schlafen.“ – „Ja, nein, also, … Location, Jule, Location!“ – Na, dann ist ja alles geklärt.

Ich bekam auch noch einmal bestätigt, dass auch Rollstuhlfahrer teilnehmen dürfen und man sich auf uns freue. „Wieviele Anmeldungen von Rollstuhlfahrern liegen Ihnen denn vor?“, fragte ich den Organisator. – „Mit Ihrer sind es jetzt zwei“, ließ er mich wissen. Eine Lisa nehme noch teil, ob ich sie kennen würde…

Nachdem wir am Freitag angereist waren, uns kaum verfahren hatten, wollte der Veranstalter mit uns nochmal alles genauestens besprechen. Wo geht es los, wo starten wir, kommen wir einen steilen Berg hoch, wo brauchen wir Hilfe, wie kommen wir über die Treppen, … – „Treppen? Ich dachte, da wären keine Stufen!“ – „Ja, sind ja auch nicht, nur zum Schluss geht es drei Stufen hoch zum Sportplatz, wo der Zieleinlauf ist.“ – „Also doch Stufen.“ – „Ja, aber da tragen wir Sie hoch.“ – „Aber dann sagen Sie doch bitte nicht am Telefon, da wären keine Stufen, wenn da Stufen sind, über die wir getragen werden müssen.“ – „Macht das einen Unterschied?“ – „Wenn ich Ihnen sage, ich bezahle die Teilnahmegebühr, dann rechnen Sie damit, dass Geld auf dem Konto eingeht. Wenn ich aber in Wirklichkeit drei hochrangige Pressevertreter mitbringe, die über Ihre Veranstaltung berichten, und deshalb davon ausgehe, dass Sie mir die Startgebühr erlassen, ist das was völlig anderes.“ – „Wir haben das aber im Griff!“ – „Ich meine Pressevertreter aber auch! Nein, mal im Ernst, das bestreitet auch niemand und das ist auch sehr nett und ich finde es toll, dass Sie sich so viele Gedanken unseretwegen machen! Nur wenn Sie mich irgendwo reinheben müssen während des Wettkampfs, würde ich das gerne vorher wissen, wenn ich schon explizit danach frage.“ – „Machen wir nächstes Jahr besser, okay?“ – „Okay.“

„Kommen Sie denn über eine Wiese?“ – „Das kommt auf die Wiese an, würde ich mal sagen.“ – „Naja, die hier“, sagte er und deutete auf einen Acker mit kniehohem Gras. – „Ausgeschlossen. Da kommen wir keinen Meter drüber.“ – „Ich dachte, Sie seien Sportler.“ – Ich setzte mich auf eine daneben stehende Holzbank. „Hier ist mein Stuhl, versuchen Sie, den über die Wiese zu schieben. Ohne jemanden drin ist es einfacher.“ – „Nein, davon habe ich ja keine Ahnung.“ – „Okay, würden Sie mit einem Fahrrad durch das Gras kommen?“ – „Nein. Ach, kann man das ungefähr vergleichen?“ – „Ja, ungefähr.“ – „Dann haben wir noch ein Problem, dann kommen Sie nämlich auch nicht durch den Sand auf der Laufstrecke.“ – „Wie tief ist der?“ – „Naja, das ist so eine Art Strandabschnitt in der Wechselzone.“ – „Nee, da brauchen wir auch eine andere Lösung.“

Immerhin haben wir das vorher alles noch besprochen und am Ende wurde improvisiert. Die Rollstuhlfahrer mussten nicht den steilen Hang am Schwimmausstieg hoch. Die mussten auch nicht über den Acker, der schon die Alternative für einen steilen Waldweg war, sondern ein Anwohner öffnete sein Grundstück, so dass wir beide über einen gepflasterten Weg und einmal quer über seine Garagenauffahrt fahren durften. Unsere Wechselzone wurde vom Strand auf einen Parkplatz verlegt. Dann konnte es ja losgehen. Unsere Rennrollis und Rennbikes konnten in einer Bootshalle eingeschlossen werden, so dass wir unsere Betten herrichten konnten. „Wenn ich mich nachts so drehe, dass ich quer liege, musst du mich einfach wegschieben“, sagte Lisa, die sich inzwischen einen Schlafanzug angezogen hatte, auf dem in bunten Lettern geschrieben stand: „You make me happy!“

„Okay, grillen fällt aus, der Himmel ist auch bewölkt, ich glaube, wir machen schnell Licht aus und Augen zu. Was meinst du?“, fragte sie mich. Ich nickte. Kaum war das Licht aus, fing sie an, über Gott und die Welt zu erzählen. Ich glaube, ich kenne inzwischen mehr als ihr halbes Leben. „Wollen wir mal schlafen? Das wird morgen bestimmt ein anstrengender Tag.“ – „Ja. Hast du Einschlafmusik?“ – „Spezielle Einschlafmusik nicht, aber wir können ja noch leise einen Moment lang was hören.“ – Ich krabbelte nach vorne, machte das Radio an, ließ die Zufallsfunktion für 30 Minuten ein paar Songs von der Speicherkarte auswählen. Nach dem Sonnenstrahl von Schandmaul schnorchelte Lisa bereits. Bei Jan Delays St. Pauli ging nochmal ein Auge auf. „Heimatmusik“, meinte sie. Und schlief weiter. An „Break My Stride“ erinnere ich mich noch, danach muss auch ich eingeschlafen sein.